Ein Abend kreativer Hochspannung

TRIER. Festkonzert zum 125. Geburtstag des MGV Rheinland-Ehrang: 900 Besucher in der restlos ausverkauften Pfarrkirche St. Peter feierten den Jubilar und seinen Gaststar Franz Grundheber.

Die ersten Besucher stehen zwei Stunden vor Konzertbeginn an der Kirchenpforte, um sich die besten Plätze zu sichern. Die Eintrittskarten sind seit Wochen vergriffen, längst, bevor die erste offizielle Ankündigung überhaupt veröffentlicht wurde. Die fertig gedruckten Plakate hat der Verein wieder eingestampft, mangels Bedarf. So ist das, wenn Franz Grundheber alle fünf Jahre bei den Ehrangern gastiert. Eine Tradition, die er vor vielen Jahren in Andenken an seinen Mentor Peter Roth-Ehrang begonnen hat, jenen früh verstorbenen Opernsänger, der eng mit dem MGV verbunden war. Auch das Philharmonische Orchester der Stadt ist fester Bestandteil der Veranstaltung. Für den Chor ist das Gaststpiel Feiertag und Herausforderung zugleich, pflegt doch Dirigent Reinhold Neusius seiner durch Gäste verstärkten Truppe ein Repertoire abzuverlangen, das über die übliche Werkauswahl eines Gesangvereins weit hin-ausgeht und in der Regel Konzertchören vorbehalten bleibt. Auch 2005 ist man alles andere als risikoscheu. Kyrie, Sanctus und Agnus Dei aus Gounods Messe in G kommen mit sicherer Intonation und kraftvoller Dynamik aus der Kirchen-Apsis. Ein Glanzpunkt, ebenso wie der hingebungsvoll interpretierte Mönchs-Chor aus Verdis "Macht des Schicksals" (mit den souveränen Solisten Sabine Zimmermann und Horst Lorig). Bei der vertrackten Chromatik von Wagners Pilgerchor aus dem Tannhäuser und den komplizierten Passagen von Schuberts "Groß ist der Herr" werden auch schon mal Grenzen hörbar, ohne dass ein respektables Niveau unterschritten wird. Eine Leistung, die angetan ist, die existenzbedrohte Branche der Männerchöre zu motivieren und aufzurichten. Aber auch die engagierten Sänger wissen, dass die Masse des Publikums wegen Franz Grundheber gekommen ist. Beim ersten Lied, César Francks eindrucksvollem "Ave Maria", verzichtet er auf den Solistenplatz vorn beim Orchester und reiht sich im Chor ein. Eine schöne, symbolträchtige Geste der Verbundenheit, die freilich zu Lasten der Akustik geht. Bei den Auszügen aus Mendelssohn Bartholdys Oratorium "Elias" zeigt Grundheber dann an gewohntem Platz, was seinen Weltruhm als Sänger begründet hat: Die Fähigkeit, mit den Mitteln des Gesangs tief gründende Charaktere zu zeichnen. Da ersteht auf dem Kirchenpodium der erschütterte Prophet, der an seinem Lebenswerk (ver)zweifelt. Auch sein "Lied an den Abendstern" ist makellos gesungen, aber es wird spürbar, dass Grundheber mit Wagners zögerlichem, verklemmtem Ritter Wolfram, der lieber die Sterne anschmachtet als die geliebte Elisabeth, weniger anfangen kann als etwa mit dem prallen Verismo-Charakter des Revolutionärs Gerard aus Giordanos "Andrea Chenier".Die Oper als ein Sturm der Emotionen

Diese schonungslose Abrechnung eines Mannes, der sich selbst und seine Prinzipien verrät und dafür hart mit sich ins Gericht geht, ist ein einsamer Höhepunkt, bei dem auch das Orchester unter kreativer Hochspannung steht. Wenn er einen einstigen Freund wider besseres Wissen als Feind des Vaterlands ("Nemico della Patria") denunziert und damit dem Tod ausliefert, wenn er zum Ende ein verzweifeltes "Alles Lüge" ausruft, dann zeigt Grundheber wie im Brennglas, was Oper sein kann: Ein Sturm der Emotionen, wie ihn Worte allein nie auslösen können. Und die Zuhörer springen spontan auf, jubeln lange und intensiv im Bewusstsein, eine Sternstunde mitzuerleben. Da strahlt auch Dirigent István Dénes, dessen Orchester gut aufgelegt ist, vor allem bei der Ouvertüre zur "Macht des Schicksals" und bei Wagners "Tannhäuser", dem man ein paar wagemutige Übergangs-Passagen verpasst hat, um die Sache "passend" zu machen. Auffällig einmal mehr Tenor Thomas Siessegger, der Grundheber beim "Perlenfischer"-Duett gekonnt standhält. Eine ausdrucksvolle, hoch timbrierte Stimme, die sich schön nach oben öffnet und spielerisch die hohen Töne erklimmt. Schwer zu verstehen, dass die klassische Karriere des Ehrangers keine rechten Fortschritte macht. Insgesamt ein bemerkenswerter Abend, dessen Vergnügen allein durch penetrante Frequenzgeräusche aus einer undefinierbaren Verstärker-Anlage leicht getrübt wurde.

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