Ein gar nicht normales Wochenende

Am liebsten würde man Katha in den Arm nehmen. So viel Drama an einem Tag hält doch kein Mensch aus.

Ein gar nicht normales Wochenende
Foto: (g_kultur

Katharina entdeckt in ihrer Brust einen Knoten. Dabei hat sie jetzt gerade überhaupt keine Zeit zu sterben. Also verheimlicht sie ihrer Familie ihre Entdeckung. Und Rücksicht nimmt sowieso keiner. Ihre hyperaktive, pubertierende elfjährige Tochter hat schon wieder sturzbachähnliches Nasenbluten und soll schleunigst aus der Schule abgeholt werden. Kaum zu Hause angekommen, säbelt sich Nachbar Theo beim Reinigen seines Aufsitzmähers den Daumen ab. Schwester Sissi hat Probleme, die sie unbedingt mit Katha am Telefon besprechen will, und am Abend kommt ein alter Studienfreund, den sie schon Jahre nicht mehr gesehen hat, zu Besuch. Und Costa, ihr Mann, mit dem es auch gerade nicht so gut läuft, kann am Wochenende nicht nach Hause kommen, weil er bei einer Betriebsfeier dabei sein muss. Klingt alles ganz furchtbar tragisch und übertrieben, ist es aber irgendwie doch nicht. Dafür hat die Autorin viel zu viel Spaß, dem Ganzen noch einen komischen, lustigen Dreh zu verpassen. Und traut sich, Sätze zu schreiben, die Mütter normalerweise noch nicht mal wagen würden, ihrer besten Freundin anzuvertrauen. So schildert sie die Ausraster und schweren Zeiten, die sie mit ihrer an ADHS leidenden Tochter Helli durchmacht. "Es gab Tage, da erschien es mir fast leichter, ein Leben lang um eine tote Helli trauern zu müssen, als sich für weitere vierundzwanzig Stunden um sie zu kümmern." Manchmal stockt einem der Atem, so ehrlich ist dieses Buch. Spricht Tabus an, reizt aber gleichzeitig zum Lachen und zum Nachdenken. Die Autorin schenkt dem Leser wunderbare Sätze wie diesen: "Jede Ordnung ist stets nur eine Oberfläche, schaut man darunter, entdeckt man den Dreck und die Krümel. So gesehen ist das Chaos nichts Gefährliches, sondern die normalste Sache der Welt." Und das Beste kommt zum Schluss: Als Katha zusammen mit Studienfreund Kilian und Nachbar mit dem Auto mitten in der Nacht zu Costas Betriebsfeier rast, um endlich unausgesprochene Dinge zu sagen. Ein turbulentes Lesevergnügen. Stefanie Glandien
Mareike Krügel, Sieh mich an, Piper Verlag, 256 Seiten, 20 Euro.

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