Ein Geist, den die Menschheit so schnell nicht wieder los wird

Trier · Schwefelhexafluorid ist eine Industriechemikalie und das stärkste bekannte Treibhausgas, von dem viel mehr in der Atmosphäre herumschwirrt, als die Staaten der Erde berichten. Heute stellt die Serie des Deutschlandfunks in Kooperation mit dem Trierischen Volksfreund das Molekül vor.

Trier. Dieses Gas könnte glatt Goethes Zauberlehrling entsprungen sein: ein Geist, den wir riefen und so schnell nicht mehr loswerden. Mindestens 1000 Jahre überlebt Schwefelhexafluorid statistisch in der Erdatmosphäre. Das Molekül mit der Formel SF{-6} ist vollkommen inert, wie Chemiker sagen - es reagiert praktisch mit nichts und niemandem und ist deshalb auch ungiftig.
Nur leider hat SF{-6} eine andere, wenig segensreiche Eigenschaft: Die Industriechemikalie gilt Klimaforschern als das potenteste aller Treibhausgase. Sein "globales Erwärmungspotenzial" übertrifft das von Kohlendioxid um das 24 000-fache, gemessen an der Wirkung des einzelnen Moleküls. Wegen sehr geringer Konzentrationen in der Luft ist der faktische Anteil von SF{-6} an der globalen Erwärmung aber noch gering. Bis heute findet das reaktionsträge Molekül breite Anwendung. "Es verhütet Brände", sagt Pieter Tans, Physiker bei der NOAA, der US-Fachbehörde für Ozean und Atmosphäre.
Tatsächlich wird Schwefelhexafluorid als Schutzgas in Mittel- und Hochspannungsanlagen verwendet, um Funkenschläge zu unterbinden.
UN-Jahr der Chemie Das Molekül der Woche


Bei der Herstellung von Magnesium verhindert es ein Entflammen des Metalls während der Schmelze. Früher wurden auch Isolierfenster und Autoreifen mit SF{-6} befüllt. Damals war seine Klimaschädlichkeit noch nicht so geläufig. Heute wundern sich Wissenschaftler über das, was bei der Bilanzierung des Mega-Treibhausgases schiefläuft. Die Industrieländer müssen ihre Emissionen an das Klimasekretariat der Vereinten Nationen melden. Doch was sich da auf dem Papier summiert, ist nicht deckungsgleich mit dem, was tatsächlich in der Atmosphäre akkumuliert. "Wenn man sich die Zahlen anschaut, ist die Bilanz nicht geschlossen", stellt Ingeborg Levin, Dozentin am Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg, fest. Wie ihr Kollege Tans geht sie davon aus, dass die realen SF{-6}-Emissionen drei- bis viermal so hoch sind wie die gemeldeten. Der NOAA-Physiker glaubt, dass unterschätzt wird, wie viel Schwefelhexafluorid wirklich aus elektrischen Anlagen entweicht. Ein anderes Problem: China hat bisher keine Auskunftspflicht, ist aber eine der größten SF{-6}-Quellen.
"Das Land wird in einem enormen Tempo elektrifiziert, wöchentlich entstehen neue Kraftwerke", sagt Physiker Tans. Niemand wisse aber, welche Mengen des Schutzgases dabei in Gebrauch seien.
Die Industrie testet inzwischen verschiedene Ersatzstoffe für fluorhaltige Klimagase. Bestehende SF{-6}-Lecks zu schließen, hält auch Hartmut Graßl, langjähriger Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, für sinnvoll.
Gerade wegen der immensen individuellen Treibhauswirkung des Moleküls: "Ein Kilo vermiedenes SF{-6}", so Graßl, "ist wie zehn Tonnen eingespartes CO{-2}."

Die Beiträge dieser Serie laufen im Deutschlandfunk immer mittwochs um 16.35 Uhr in der Sendung "Forschung aktuell". In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Infos unter www.dradio.de/jahrderchemie

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