Ein hinreißender Schurke

Trier · Alle zehn Jahre ein Don Giovanni: Das gehört zum Grundbestand jeder zuschauerorientierten Theater-Repertoireplanung. Mozarts brillante Oper über den großen Verführer dürfte auch diesmal wieder jede Menge Publikum locken - die neue Produktion hat Pfiff und ist gut besetzt.

Trier. Wer sagt denn, dass es für einen unzählige Male gesattelten Operngaul keine frischen Ideen mehr gibt? Thomas Münstermann wartet in seiner Trierer Inszenierung mit einigen auf. Sein Don Giovanni ist eine Art Vampir, der schon mal schnell das Blut von seinem Schwert leckt, wie einst Max Schreck in "Nosferatu" als bedrohlicher Schatten durch die Gegend schleicht oder mit den Fledermausärmeln seines Mantels seine Opfer beschwört. Der große Lover als Blutsauger, faszinierend und abstoßend zugleich, ein hinreißender Schurke, der den Charme des Bösen ausstrahlt, Menschen manipuliert und mit dem Grauen spielt: So kann man das trefflich erzählen. Zumal die Idee nicht penetrant wird und die Anspielungen witzig und originell rüberkommen. Augenzwinkern statt Düsternis und Weltschmerz. Und reichlich Tempo, was nicht zuletzt am herrlich bespielbaren Bühnenbild von Axel Schmitt-Falckenberg liegt. Es sind nur einige große, graue Elemente auf Rollen, die sich aber mit wenigen Bewegungen immer neu gestalten lassen. Eine flotte Drehung, eine neue Anordnung: Schon sieht man eine Stadtmauer, ein Schloss, einen Friedhof. In dieses Ambiente lassen sich tolle Lichtspiele und Commedia dell\'arte-Elemente integrieren. Fantastische Kostüme sorgen ebenso für bunte Tupfer wie eine tolle Chor-Choreographie bei der Ball-Szene. Mehrfach provozieren die Arrangements Beifall auf offener Szene - eine Rarität in Trier. Beifall auf offener Szene

Valtteri Rauhalammi findet bei seiner letzten Trier-Premiere als Dirigent (er wechselt nach Gelsenkirchen) mit den Philharmonikern einen schönen, offenen, nicht zu dick aufgetragenen Mozart-Ton, der exakt zum Gesamtkonzept passt. Das Orchester musiziert mit sichtlichem Spaß an der Freude, und nach kleinen Abstimmungsproblemen am Anfang stimmen auch Chemie und Tempo zwischen Bühne und Graben. Eine Doppelschicht für Rauhalammi: Er begleitet auch die Rezitative am Hammerklavier - in angenehmer Selbstbeschränkung. Die Sängerleistungen können sich durchweg hören lassen, auch wenn bei einer Komplettbesetzung aus dem eigenen Ensemble die reine Lehre des Mozart-Gesangs gelegentlich auf der Strecke bleiben muss. Vor allem die stimmgewaltig und effektvoll singenden Joana Caspar (Donna Anna) und Svetislav Stojanovic (Don Ottavio) klingen zuweilen mehr nach Puccini als nach Mozart. Was aber mehr als wettgemacht wird durch die stimmigen Rollenporträts: Caspar als Prinzessin Rühr mich nicht an, hinter deren Fassade erotische Feuer glühen, Stojanovic als ewig hoffender, aber nie zum Schuss kommender Möchtegern-Liebhaber. Schön zu sehen, wie sich Caspar mit ihrer zweiten großen Arie dann doch ganz auf Mozart einlässt. Wie Claudia-Denise Beck (Donna Elvira als Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs) und Evelyn Czesla (Zerlina als Carmens kleine Schwester) souverän einen höchst gepflegten Gesangsstil praktizieren. Wie Alexander Trauth einen süffig singenden, mitreißend agierenden Leporello auf die Bühne zaubert. Wie Pavel Czekala dem Bauernburschen Masetto stimmlich und darstellerisch Kontur verleiht - auch wenn ihm in seiner zweiten Rolle als Komtur die dämonische Fülle gänzlich abgeht. Vornweg marschiert der junge Amadeu Tasca, kein orgelnder Bassbariton wie oft bei Don Giovanni, sondern ein eleganter, gewandter, hörbar am Belcanto geschulter Sänger mit müheloser Höhe und einer ausgesprochen kultivierten Stimmführung. Und ein guter Darsteller obendrein. Für diese Lesart von Don Giovanni eine optimale Besetzung. Produktion kann noch reifen

Insgesamt kann die Produktion noch reifen - sie wirkt stellenweise wie mit heißer Nadel genäht. Da rennen öfter Leute durchs Licht, trüben hyperaktive Handlungen die klare Charakterzeichnung. Dafür ist das Finale ein Geniestreich: Erst holen Zombies den großen Verführer in die Hölle, dann vernichtet die aufgehende Sonne den Rest der längst vom Vampir Don Giovanni infizierten Sippschaft. Ohne den großen Meister der Unmoral können auch die Moralisten nicht überleben - eine sinnige Schlusspointe. Ausgiebiger Beifall, Ovationen für die Solisten, ein, zwei einsame Buhrufer beim Regieteam.Termine: 25., 29. Mai; 1., 8., 16., 23., 27. Juni; 1., 7. Juli. Karten: Theaterkasse, Telefon 0651/7181818, und im Internet www.theater-trier.de