Ein meisterhaftes Künstlerporträt

"Darauf wollen wir trinken: dass es nicht noch besser wird!" Nur mit Ironie ließ es sich als Künstler in der Sowjetunion aushalten. Der Komponist Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) setzte Ironie als Waffe ein, aber manchmal war sie ein zu stumpfes Schwert gegen die Grausamkeit der Tyrannei. Julian Barnes hat einen Roman über den widersprüchlichen Künstler geschrieben. Unsere Redakteurin Anne Heucher stellt ihn vor.

"Es gibt nur guten Wodka und sehr guten Wodka, schlechten Wodka gibt es nicht." Dass sich Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch gern mal ein Gläschen genehmigte, glaubt man leicht, wenn man sich das Leben des berühmten russischen Komponisten vergegenwärtigt. Als Stalin den 29-Jährigen im Januar 1936 quasi zum Abschuss freigab und rund um ihn Freunde und Bekannte verschwanden, ergriff den Künstler eine Angst, die lebenslang blieb. Der britische Autor Julian Barnes hat in seinem neuen Roman Schostakowitschs Schicksal historisch präzise nachgezeichnet und dabei bis heute aktuelle Fragen von moralischer Integrität, von Anpassung und Widerstand ausgelotet. Als Stalin die Aufführung seiner Oper vorzeitig verlässt und ihn öffentlich verdammt, rechnet Schostakowitschs ständig mit der Verhaftung. Nächtelang wartet er am Fahrstuhl auf seine Schergen, um Frau und Kind den Anblick zu ersparen. Durch Glück entgeht er der Säuberung, aber ihre Wirkung entfaltet die Macht sehr wohl. "Ab einem bestimmten Punkt wurde das aus jedem Menschen: eine Überlebenstechnik", schreibt Barnes, der auf nur 250 Seiten akribisch darlegt, wie der Komponist zu überleben und weiterzuarbeiten versucht. Der Kalte Krieg bedrängt Schostakowitsch von beiden Seiten: Das Sowjetregime verlangt optimistische Musik für die Proletarier und verbietet einige seiner international beachteten Werke. Westliche Künstler und Politiker hingegen, vor allem in Amerika, erwarten vom ihm eine Dissidenten-Haltung gegenüber der Sowjetunion, die ihn das Leben gekostet hätte. Zwischen diesen Polen integer zu bleiben und keine "Sünden", wie er schreibt, auf sich zu laden, war unmöglich - und doch hadert Schostakowitsch immer mehr mit seinen Fehltritten. 1948 verliest er beim Weltfriedenskongress in New York als Delegierter der Sowjetunion eine Rede mit Beleidigungen gegen den Komponisten Igor Strawinsky, den er hoch verehrt. Das sei "der schlimmste Augenblick seines Lebens" gewesen, urteilt er später. Scham quält ihn auch unter Chrutschtschow, als er gegen seine Überzeugung in die kommunistische Partei eintritt und sich zum Vorsitzenden des Komponistenverbands machen lässt. Moral und Ernsthaftigkeit vermisst er hingegen bei vielen Künstlern im freien Westen, die den staatlichen Morden zum Trotz den Sowjetkommunismus hochjubeln: Picasso, Sartre, Feuchtwanger, Bernhard Shaw - "westliche Humanitätsapostel".Wie ein symphonisches Werk mutet der Roman zunächst an: drei Teile zwischen einer denkwürdigen Trinkszene, alle beginnen leitmotivisch mit dem Satz: "Er wusste nur eins: Dies war die schlimmste Zeit", beim dritten Mal wird es die "allerschlimmste Zeit". Statt eines Erzählbogens reihen sich dann Aphorismen, Gedanken und Episoden aneinander, deren roten Faden der Leser aber mühelos behalten kann. So abgehackt, so wenig kontinuierlich mag Schostakowitsch sein Leben empfunden haben: oft gehetzt, in die Enge getrieben, re-agierend auf fremde Vorgaben. Dabei wollte er am liebsten einfach nur in Ruhe gelassen werden. Eine bedeutende Rolle spielt die Ironie - als Überlebensstrategie, die der Komponist nicht nur in seine Worte, sondern auch in seine Musik legte. Musik sah er als "Geheimsprache" an, "die es erlaubte, etwas an den falschen Ohren vorbeizuschmuggeln". Barnes lässt sich von ihr inspirieren - zeigt aber auch auf, dass Ironie als Deckmäntelchen für Verrat und Feigheit nicht taugt. Sie macht den bitteren Stoff mit einer einer Fülle von Anekdoten und Betrachtungen aber leichter, bisweilen sogar witzig - auch dank der vielen Redensarten ("Der lügt wie ein Augenzeuge" zum Beispiel). Einziger Haken dieses großartigen Buchs: Die Musik Schostakowitschs bringt der Roman dem Leser nicht wirklich näher. Die muss man schon hören.Anne HeucherJulian Barnes, Der Lärm der Zeit, Roman, Aus dem Englischen von Gertraude Krueger, Kiepenheuer & Witsch 2017, 256 Seiten, 20 Euro.Aufgeschlagen - Neue Bücher

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