Ein persönliches Stück deutscher Geschichte

Trier · Wer war Hans Schleif, der als Archäologe Olympia ausgrub, SS-Mitglied und ranghoher Verwaltungsfunktionär im NS-Regime wurde? Dieser Frage gehen sein Enkel Matthias Neukirch, Schauspieler am Deutschen Theater Berlin, und der aus Wittlich stammende Regisseur Julian Klein in einem spannenden Erzähl-Theaterstück nach, das jetzt in der Tuchfabrik Trier die Gemüter bewegt hat.

 Ungewöhnliches Gastspiel in der Trierer Tuchfabrik: Auf den Fußboden will Matthias Neukirch mit Kreide aufzeichnen, wo sich sein Großvater Hans Schleif im Krieg aufhielt. Im Hintergrund sitzen die Zuschauer an Tischgruppen. TV-Foto: Anke Emmerling

Ungewöhnliches Gastspiel in der Trierer Tuchfabrik: Auf den Fußboden will Matthias Neukirch mit Kreide aufzeichnen, wo sich sein Großvater Hans Schleif im Krieg aufhielt. Im Hintergrund sitzen die Zuschauer an Tischgruppen. TV-Foto: Anke Emmerling

Trier. Es ist nicht die übliche Theatersituation: Die Zuschauer sitzen an einem Karree aus Tischen wie im Seminar, der Raum ist hell erleuchtet. Eine Bühne im eigentlichen Sinne gibt es nicht, auch keine Requisiten außer einem Tisch mit Stuhl, Aktenordnern, Aufnahmegerät. Es ist aber auch kein übliches Theaterstück, das Matthias Neukirch hier vorstellt, sondern ein Forschungsprojekt in eigener Sache.
Erkenntnis auf der Bühne


Angestoßen davon, dass er 1996 am Staatstheater Kassel einen SS-Offizier spielen sollte, hatte er eine Spurensuche nach seinem Großvater Hans Schleif begonnen, der SS-Mitglied war. Diese Recherche und die Erkenntnisse daraus hat er mit Regisseur Julian Klein, der 2009 das Institut für Künstlerische Forschung Berlin mitgegründet hat (der TV berichtete am 21. Januar), zu einem mehr als zweistündigen Erzählmonolog verdichtet.
Der ist von der ersten Minute an ungeheuer spannend, lebendig und durch die Perspektive des persönlich Betroffenen höchst authentisch. Er liefert Details zur akribischen Forschung von Neukirch und Klein in Archiven, an Schauplätzen im In- und Ausland oder in der Familiengeschichte, die bis heute Neues zutage fördert. Vor allem zeichnet er das Bild einer Persönlichkeit, die rätselhafter wird, je mehr man über sie weiß.
Hans Schleif, Archäologe und Architekt, so belegt es Neukirch mit Briefen und anderen Dokumenten, war ein intelligenter und selbstbewusster Mann. Mit einem Hang zu satirisch überspitzter Polemik opponierte er furchtlos gegen Hierarchien und Autoritäten, wenn sie seinem wissenschaftlichen Anspruch oder seiner Karriere im Weg waren. Er wurde in einem Gesinnungstest der Nazis als "undurchschaubar" eingestuft, was ihm den Weg zu einem Universitätslehrstuhl verbaute.
Doch 1935 trat er plötzlich in die SS und den persönlichen Stab Himmlers ein. Das brachte ihm die Verantwortung für die Grabungen in Olympia ein. 1939 wurde er "Treuhänder" zur Sicherung des Kulturguts im überfallenen Polen, verlor den Posten aber wieder, weil er nicht, wie vom Regime beauftragt, auf Raubzug ging.
Eigene Familie ausgelöscht


Umso überraschender, dass er dann in den 1940ern mit Leib und Seele einen Führungsposten im SS-Wirtschaftsverwaltunghauptamt ausfüllte. Dort muss er an Entscheidungen zum Bau unterirdischer Konzentrationslager und verheerender Waffen wie der V1- und V2-Bombe beteiligt gewesen sein. 1945 brachte der damals 43-Jährige sich, seine zweite Ehefrau und die zwei gemeinsamen Kinder um.
Warum diese Entwicklung? Welche Schuld hat dieser Mann wirklich auf sich geladen, und wie geht man als Enkel damit um? Am Schluss bleiben mehr Fragen als Antworten, und es entspinnt sich eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum. Bei manchem Zuschauer mündet sie in dem Vorsatz, als Akt des Umgangs mit Geschichte und Schuld auch einmal in der eigenen Familie nachzuforschen.

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