Ein Scharnier zwischen Dirigent und Orchester

Stuttgart · Er hat in Trier mit dem Musizieren begonnen und stieg in Stuttgart zum Konzertmeister des Radio-Sinfonieorchesters auf. Auch mit 75 Jahren ist Albert Boesen als Musiker aktiv und bleibt Trier bis heute eng verbunden.

Stuttgart. Seine Wohnung im Stuttgarter Nobelviertel Gänsheide wirkt auf den ersten Blick eher schlicht. Aber wer die Terrasse betritt, dem eröffnet sich ein herrlicher Blick auf die baden-württembergische Landeshauptstadt.
Bei Albert Boesen, dem Trierer, der in Stuttgart eine neue Heimat fand, ohne die alte zu verlieren, trifft der Besucher auf eine faszinierende Verbindung von Exklusivität und Bescheidenheit. Boesen strahlt profunde künstlerische Kompetenz aus und dazu eine freundliche Entschiedenheit.
Auch im Ruhestand bleibt der 75-Jährige weiter aktiv. Er spielte im Orchester der Bayreuther Wagner-Festspiele, arbeitet zurzeit als Konzertmeister im Heilbronner Sinfonieorchester und schult dort die Streicher.
Der Konzertmeister an der Spitze der ersten Geigen ist ein Mann fürs künstlerische Detail und so etwas wie ein Scharnier zwischen Dirigent und Orchester. Und er hat eine wichtige Vorbildfunktion für den gesamten Klangkörper. Albert Boesen hat es darin weit gebracht. Die Konzertmeisterstelle im Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, die er bis zur Pensionierung 1999 besetzte, gehört zu den wichtigsten Geiger-Positionen der Republik.
Dabei waren seine Startbedingungen nicht gerade ideal. Der Sohn eines Metzger-Ehepaars entdeckte mit zwölf auf dem Dachboden eine Geige und begann 14-jährig den Unterricht beim Trierer Konzertmeister Rudi José - nach landläufiger Ansicht viel zu spät für eine Geiger-Karriere. Doch Boesen ließ nicht locker und entschied sich nach Abitur und vier Semestern Schulmusik-Studium in Saarbrücken endgültig für die Geige.
Durch ein Stipendium der "Studienstiftung des deutschen Volkes" wurde er Schüler von Michel Schwalbé, Karajans Konzertmeister in Berlin. "Ich habe Glück gehabt", sagt er. Aber wahr ist auch: Albert Boesen hat seinen Erfolg vor allem einer Person zu verdanken - sich selber. Bei den Berliner Philharmonikern spielte er zwei Jahre als Aushilfe und ist durch sie ganz in seiner Arbeit als Orchestermusiker aufgegangen.
Mit dem Bogen singen


Den Höhepunkt seiner Musi-kerlaufbahn hat er dann als Konzertmeister in Stuttgart erlebt, unter dem Karajan-Antipoden Sergiu Celibidache. Dieser eigenwillige, exzentrische und geniale Dirigent habe das Orchester auf ein Niveau gebracht, das später nicht mehr erreicht worden sei. "Er ließ uns mit dem Bogen singen", sagt Boesen.
Überhaupt: Trier ist für den weitgereisten Musiker ein Stück Heimat geblieben. "Ich genieße jedes Mal das Panorama dieser Stadt", sagt er und trifft nach wie vor die alten Musikerfreunde, immerhin war er einst Mitglied der Trierer "Camerata instrumentale". Aber er hat auch wahrgenommen, was er heute als "kulturelle Katastrophen" bezeichnet - den Abriss der Treviris ("der am besten klingende Saal in Rheinland-Pfalz") und im Jahr 1968 die Orchesterverkleinerung. Solche Einschnitte dürften sich nicht wiederholen.
Ein Patentrezept für die aktuellen Finanzierungsprobleme des Trierer Theaters hat auch Albert Boesen nicht. Aber es könne vielleicht hilfreich sein, wenn man die klassische Musik von der "leichteren und schöneren Seite" präsentiere. Das immerhin ist eine Perspektive. mö

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