Ein Schauspieler, der zum Diktator wird

Trier · Er nennt ihn brutal, krank, menschenverachtend, und trotzdem mag er ihn. Schauspieler Tim Olrik Stöneberg tritt mit dem Stück "Nero lebt" im Rheinischen Landesmuseum Trier auf. Wie findet ein Schauspieler in die Rolle des Nero? Ein Blick hinter die Kulissen.

 Der Dolchstoß.

Der Dolchstoß.

Foto: (g_kultur
 Zeit zum Dehnen und Denken.

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Trier. Der lange weiße Mantel aus schwerem Leinen weht ihm um die Schulter. Schnellen Schrittes geht er über die mit Kopfstein gepflasterte Straße in Richtung der steinernen Treppe, die zu dem massiven Gebäude führt. Die schulterlangen braunen Haare sind schnell zusammengebunden, der braune Bart lang, aber gepflegt. Man hört ein dumpfes Grollen. Im ersten Moment klingt es wie Löwengebrüll, man denkt an Gladiatorenkämpfe mit wilden Tieren. Im zweiten Moment entpuppt es sich als Dröhnen eines Motorrads, die Quelle ist ein Handy. Schauspieler Tim Olrik Stöneberg liest die SMS im Laufen, gerade war er den Mantel seines Kostüms im Auto holen. Er hängt ihm lässig über der Schulter. Vielleicht kam mit der Nachricht noch eine Info wegen seines Auftritts im Rheinischen Landesmuseum Trier, der gleich ansteht. Er hat nur noch eine Stunde Zeit, um vom Schauspieler Tim zum Diktator Nero zu werden.
Es ist Samstag, 2. Juli, 18 Uhr. "Nero lebt" heißt das Stück, das Stöneberg gleich spielen wird. Der Regisseur Alexander Etzel- Ragusa, der bereits am Theater Trier gearbeitet hat, hat es geschrieben und inszeniert, und den Zuschauer bereits im Titel doppelt aufs Glatteis geführt. Denn Nero lebt, obwohl er schon tot ist, und Nero ist eigentlich gar nicht Nero. Das Stück spielt nach dem Freitod des Kaisers, aber: "Man hat Neros Leiche nie gefunden, das ließ auch damals Raum für Spekulationen. Nach seinem Verschwinden sind Doppelgänger in Rom aufgetaucht, die von sich behaupteten, Nero zu sein und die Macht wieder "zurück" erlangen wollten", erklärt Stöneberg und lässt des Rätsels Lösung im Dunkeln. Vielleicht ist er Nero, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht spiele er jemanden, der Nero spiele.
Einer, der Nero spielte und damit zu Weltruhm gelangte, war Sir Peter Ustinov. Sein Nero war ein brutaler Machtmensch, gleichzeitig eine verwirrte Künstlerseele, zerrissen zwischen beiden, letztendlich verrückt. Einer, der Rom anzündete, um den Untergang von Troja zu besingen. "Man kann Nero nicht mehr spielen wie ein Ustinov, das Bild ist völlig überholt", sagt Stöneberg. Ragusa und er lasen die neusten Abhandlungen über Nero, informierten sich, ließen sich beraten. Das Stück beruhe auf den aktuellsten Erkenntnissen. Nero kann Rom nicht angezündet haben, ein Gerücht, mit dem Stöneberg im Stück aufräumt, stattdessen hat er seine Gärten für Schutzsuchende geöffnet und Lebensmittel drastisch vergünstigt. Trotzdem wird deshalb aus Nero kein Gutmensch. Er habe in brutalen Zeiten gelebt, sagt Stöneberg. Nero sei zielstrebig gewesen, rigoros und kreativ, aber auch brutal, menschenverachtend und krank. Aber Stöneberg mag die Figur, vielleicht eben wegen dieser Ambivalenz, weil jede Eigenschaft von Nero positiv und negativ zugleich sein kann.
Ein Dreiklang ertönt, danach eine blecherne Ansage: "Liebe Besucher, das Museum wird in wenigen Minuten geschlossen." In einer halben Stunde kommen die Zuschauer, sie bekommen vor dem Stück eine Extraführung durch die Nero-Ausstellung, ein römisches Essen vom Hotel Deutscher Hof im Veranstaltungssaal des Landesmuseums und zwischen den Gängen Schauspiel. Eine fast antike Form der Unterhaltung, es fehlen nur die Liegemöglichkeiten.
Für Stöneberg ist Nero nun nicht mehr weit. Seine Garderobe ist ein Geräteraum hinter der Garderobe für die Mitarbeiter.
Dort läuft alles wie ein Uhrwerk: T-Shirt aus, Schuhe aus, Hose aus, Socken aus, Toga an, Mantel an, hinsetzen, römische Sandalen schnüren. Dabei Text im Schnelldurchlauf, monotones Murmeln. Zwischendrin kurzes Innehalten, durchatmen, die Stimme wird brüchig, dann der berühmte Satz: "Welch ein Künstler geht an mir zugrunde?" , noch mal tief durchatmen, die Pause sitzt. Weiter murmeln, längere Pause, der erste Hänger. Schnell weiter, Augenbrauen hochziehen, Kopf schief legen, die Mimik sitzt. Pause. "Das war jetzt der erste Teil", moderiert Stöneberg. Den gibt's noch vor der Suppe. Es folgt der zweite Teil, gemurmelt in der Umkleide. Den dritten Teil des Stückes wird er durchgehen, wenn die Gäste den Hauptgang serviert bekommen. Zwischendrin wird es immer wieder Pausen geben, genug Zeit beispielsweise für die Tänzerin Felizia-Maria Roth, um sich zu dehnen, um miteinander zu scherzen, und für Stöneberg, um sich Gedanken über Nero zu machen.
"Die Figur ist für mich durch und durch positiv", fasst er zusammen. Aber sie sei auch etwas anderes als Nero. Um die Figur sein zu können, müsse er nach Parallelen bei sich suchen. In sich finden, was er in der Figur sucht. Versuchen nachzuempfinden, was sie gefühlt haben könnte, und was Nero gefühlt haben könnte. Zum Beispiel als Rom brannte, als er einen Anschlag auf seine Mutter befahl, den Stiefbruder vergiftete, die schwangere Geliebte trat und sich danach in den Jüngling Sporus verliebte, der sich die männlichen Geschlechtsteile entfernen ließ, um Neros Illusion nicht zu stören. "Als Tim muss ich nicht gut finden, was Nero getan hat, aber als Figur muss ich es verstehen, um es spielen zu können", erklärt Stöneberg. Eine Paralelle, über die der Künstler eine Brücke bauen konnte, war der ständige Wunsch nach Anerkennung. Seine Anerkennung bekommt Stöneberg am Ende des dritten Teils, wenn er und die Tänzerin Roth unter Applaus schnell von der Bühne abtreten. Die Zuschauer bekommen den Nachtisch, Stöneberg wirft den Mantel und die Toga ab, verstaut beides wieder im Auto und will schnell nach Hause. Heute abend sei das Fußballspiel Deutschland gegen Italien, das wolle er natürlich nicht verpassen.
Es war die erste öffentliche Aufführung von "Nero lebt". Ob es weitere öffentliche Aufführungen gibt, lässt das Landesmuseum derzeit offen. Infos gibt es beim Rheinischen Landesmuseum unter der E-Mail: landesmuseum-trier@gdke.rlp.de

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