"Ein wahrhaft großer sowjetischer Künstler"

COLMAR. (no) Der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch steht im Mittelpunkt des diesjährigen Internationalen Musikfestivals von Colmar. Am 9. August jährt sich der Todestag des Musikers zum dreißigsten Mal.

"Das ist albernes Zeug, keine Musik." So äußerte sich Stalin nach der Uraufführung von Dmitri Schostakowitschs Oper "Lady Macbeth von Mzensk" im Jahre 1936. Sofort sekundierte die "Prawda" mit Kadavergehorsam und schrieb diktatorenhörig von "verworrenen Klängen". Dmitri Schostakowitsch (1906-1975), einer der bedeutendsten Musiker des 20. Jahrhunderts, erlebte wie kein anderer russischer Komponist eine Karriere-Achterbahnfahrt zwischen Jubel und Ächtung. Um nach "Lady Macbeth" seine Existenzgrundlage nicht aufs Spiel zu setzen, musste er die Gunst der Parteioberen schleunigst zurückgewinnen. Er verzichtete auf die Veröffentlichung etwa der Vierten Sinfonie und anderer Werke, die dem Diktator und seinen Ja-Sagern zu "pessimistisch" erscheinen mochten. Stattdessen schrieb er eine fünfte Sinfonie, die er "Schöpferische Antwort eines Sowjetkünstlers auf begründete Kritik" überschrieb. Trotz des anbiedernden Titels gelang dem Komponisten das Kunststück, sich vor dem Parteiapparat zu rehabilitieren, ohne sich künstlerisch zu verraten. Der äußerlich klassische Bau und die weitgehende Rückkehr zur Tonalität stimmten die Zensoren gnädig: "Nach Anhören dieses Werkes kann man getrost sagen, dass der Komponist als wahrhaft großer sowjetischer Künstler seine früheren Fehler liquidierte und einen neuen Weg beschritten hat", so Schostakowitschs Kollege Dmitri Kabalewski nach der Uraufführung 1937. Besonders der Triumphmarsch gefiel den Zensoren - nicht ahnend, dass Schostakowitsch ihn als Todesmarsch konzipiert hatte, wie er Jahrzehnte später gestand. Während des Krieges schrieb der Komponist Stücke in gefälligem Stil, doch 1948 fand eine neue Säuberung statt. Jeder namhafte Musiker wurde vor das Zentralkomitee zitiert, und auch Schostakowitsch musste eine Entschuldigung abliefern und versichern, seine Tatkraft künftig "auf die Schilderung der Energien des Sowjetvolks" zu verwenden. Die Repressalien hörten erst nach Stalins Tod im Jahre 1953 auf. Nun wurden dem Musiker auch in seiner Heimat die Ehren zuteil, die er im Rest der Welt längst erfahren hatte. Den 30. Todestag des Komponisten nimmt das 17. Musikfestival von Colmar zum Anlass, rund 20 seiner knapp 150 Kompositionen aufzuführen, darunter das 1. Cellokonzert, die Orchestersuite aus "Lady Macbeth von Mzensk", die Sinfonien Nr. 5 und 14, aber auch Leichtgewichtiges wie die "Jazzsuite Nr. 2". Dirigiert werden die meisten Werke vom künstlerischen Leiter des Festivals, Vladimir Spivakov. Solisten des 13-tägigen Festivals sind unter anderem die Pianist(inn)en Anna Denisova und Alexander Ghindin, die Cellistin Emmanuelle Bertrand sowie die Sopranistin Indra Thomas, die bereits im vergangenen Jahr in Colmar stürmisch gefeiert wurde. Das Musikfestival Colmar dauert vom 2. bis 14. Juli; Infos: 0033/389206897; Kartenvorbestellung: 0033/389410536; Internet: infofestival@ot-colmar.fr. Das komplette Programm kann unter www.festival-colmar.com eingesehen werden.

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