Eine fast perfekte Illusion

Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück: Was die Comedian Harmonists vor rund 70 Jahren besungen haben, hat Stargeiger André Rieu in der fast ausverkauften Trierer Arena wahrgemacht.

 Walzerglück in der Arena: André Rieu und sein Johann-Strauss-Orchester. TV-Foto: Friedemann Vetter

Walzerglück in der Arena: André Rieu und sein Johann-Strauss-Orchester. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Ein bisschen Prunk, ein bisschen Kitsch. Hier eine üppige Kunstblumengirlande, da goldene Stühle und goldene Notenständer. Ein glitzernder Sternenhimmel umgibt André Rieu und sein Johann-Strauss-Orchester in der Trierer Arena. Männer im schwarzen Frack und Frauen in feenhaften Abendkleidern zieren die Bühne.

Es ist ein kleiner Walzertraum, zu dem André Rieu die rund 4000 Gäste bei seinem zehnten Konzert in Trier mitnimmt. Johann Strauss' "Rosen aus dem Süden", "Wiener Blut" und "An der schönen blauen Donau" erklingen. Leises Summen und sanftes Wiegen aus den Zuschauerreihen begleiten die eingängigen Melodien. Die Automatisierung der Massen funktioniert. Schließt man die Augen, kann man Kaiserin Sissi und ihren Franz förmlich übers Parkett schweben sehen. Hach! Die Illusion des Walzertraums scheint fast perfekt. Fast.

Denn für einen kurzen Moment herrscht Irritation im Saal. Ein Kinderbild von Michael Jackson erscheint auf den beiden Leinwänden, die sonst Rieus Gesicht in Übergröße zum Publikum projizieren. Fragende Gesichter. Ein neuer Part in Rieus Show. Diese Leidenschaft des Geigers kannten selbst die eingefleischten Fans anscheinend bisher noch nicht. Sopranistin Carmen Monarcha singt den "Earth Song" des King of Pop, gemeinsam mit dem Rioler Kinder- und Jugendchor, der eigens für die Show eine kleine Choreographie einstudiert hat. Monarchas Stimmgewalt lässt die Arena erzittern, erzeugt Gänsehaut. Überzeugt.

Gänsehaut-Momente und ein bisschen heile Welt



Rieu ist mal wieder nur Dirigent, die Rolle, die er fast zu oft während des Konzerts einnimmt. Zwar präsentiert er sich als ausgezeichneter Geiger, doch leider sind die Einlagen, in denen er selbst den Bogen über seine rund 350 Jahre alte Stradivari streicht, rar. André Rieu gleicht in vielen Momenten mehr einem Dompteur, der seine zahmen Kätzchen bändigt, als dem eigentlichen Star des Abends.

Nicht, dass diese Tatsache die Wirkung des Konzerts schmälern würde. Im Gegenteil. Sein Programm scheint die Erwartungshaltung zu erfüllen. Was er bietet, hat Hand und Fuß: ein Orchester, das in meisterlicher Manier pariert und musikalisch überzeugt, Sänger, wie die Platin Tenors, die Berlin Comedian Harmonists und Carmen Monarcha, die Gänsehaut erzeugen, deren Stimmen durch Mark und Bein gehen. Alles in allem gelingt es Rieu, sein Walzerglück in einem Ambiente bonbonfarbiger Glückseligkeit zu vermitteln. Auch wenn die Show schon fast zu perfekt wirkt, scheint Rieu sein Abendziel zu erreichen: Herzen zu erwärmen. Denn gerade in einer Zeit, die geprägt ist von Krisen und Katastrophen scheint die Flucht aus dem Alltag genau das zu sein, was das Publikum und die Musiker brauchen. Ein bisschen träumen - von einer im Dreivierteltakt pulsierenden heilen Welt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort