Eine Sängerin unter den Geigern

Luxemburg · Welch unterschiedliche Resultate ein Sinfoniekonzert haben kann! Vor der Pause suchten Emmanuel Krivine und das Orchestre Philharmonique in der Philharmonie vergeblich nach einem Schlüssel für Brahms - um danach den Zugang zu Bartók souverän zu finden.

Luxemburg. Da steht sie auf der Bühne im Großen Saal der Luxemburger Philharmonie - schlank, schmal, ja schmächtig. Und wenn im Violinkonzert von Brahms nach dem ausgedehnten Orchestervorspiel ihr Einsatz kommt, nimmt sie den deutlich und präsent und doch mit einer ungewöhnlichen Mischung aus Zartheit und Eleganz. Alina Pogostkina musiziert das sperrige Werk wie ein Stück Kammermusik - sensibel im Detail, perfekt und doch unprätentiös in den schwierigen hohen Lagen und den zahlreichen Doppelgriffen. Und über allem schwebt ein weicher, ein kantabler Ton. Pogostkina ist unter den Geigern so etwas wie eine Sängerin.
Freilich fehlt ihr (noch) etwas an akustischer Durchsetzungskraft und an Robustheit des Musizierens. So gehen solistische Figuren immer wieder unter im Orchester. Hinzu kam freilich: das Orchestre Philharmonique (OPL) und Dirigent Emmanuel Krivine fanden keinen Zugang zu Brahms. Ihr Musizieren blieb in lyrischen Partien meist steif und fest, in den wichtigen Tutti-Einwürfen konturenlos, und das "Allegro giocoso"-Finale verzerrten sie zum plumpen Ländler. Welche Wohltat, Alina Pogostkina in der großen Kopfsatz-Kadenz einmal ganz allein zu hören!
Aber vielleicht hatte Bartóks Konzert für Orchester zu viel abgezogen an Proben- und Musizier-Energie. Die Interpretation dieser vielschichtigen Komposition - ein Glanzstück!
Krivine und das OPL setzten zur Introduktion mit weitem, ruhigem Atem an und entfalteten dann detailbewusst und doch mit großer Linie den Facettenreichtum dieser Musik - souverän in den häufigen Taktwechseln, den Bläser-Soli, den Pauken-Einwürfen, den heiklen Fugati und zudem sensibel für die zahlreichen Stilbezüge der Komposition. Sie geben der Volksnähe Deutlichkeit, der Komik und Groteske Pfiff, der Lyrik Wärme, der Dramatik Energie und beschwören im prägnant ausgespielten Léhar-Zitat sogar eine nostalgische Ahnung von österreichisch-ungarischer Operettenseligkeit.
Und in der Elegie - der Satz genau in der Mitte des Werks - klingt die wunderbare, leise Trauer mit, die auch in Bartoks letztem Streichquartette so anrührt und so bewegt: 1300 beeindruckte Besucher. mö

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