Eine Spirale der Hoffnungslosigkeit

LUXEMBURG. Auch mehr als 25 Jahre nach der Uraufführung hat Wolfgang Rihms Kammeroper "Jakob Lenz" seine Eindringlichkeit bewahrt. Mit sparsamen Mitteln entwickelte die Produktion im Luxemburger "Grand Théâtre" bedrängende Gefühlsstärke.

Nein, kein Bühnenbild! Wo es so ausschließlich um innere Vorgänge geht im "Jakob Lenz" von Wolfgang Rihm, ist alle optische Zutat entbehrlich. Die Coproduktion der Antwerpener Gruppe "Muziektheater Transparant" mit dem argentinischen Teatro Colon und der Beethoven Academie von Buenos Aires im "Grand Theatre" in Luxemburg verzichtet auf alle dekorativen Effekte. Gesten, die mehr andeuten als ausdrücken, gezielte Positionswechsel, sparsame Beleuchtung, das genügt. Nichts in Caroline Petricks Regie lenkt ab von der großen, schicksalhaften Seelen-Katastrophe des Jakob Michael Reinhold Lenz. Georg Büchner hat den Aufenthalt des seelisch schwer beschädigten Sturm-und-Drang-Dichters beim aufklärerisch gesinnten Pfarrer Johann Friedrich Oberlin im elsässischen Waldbach in seiner Novelle "Lenz" beschrieben - in atemloser Prosa, dem sensiblen Einfühlungsvermögen des großen Dichters und dem Scharfblick des ausgebildeten Mediziners. Wolfgang Rihm und sein Textdichter Michael Fröhling formten daraus eine Oper der Emotionalität und Leere zugleich. Die Luxemburger Produktion vermittelte beides. Wenn Lenz-Darsteller Hans Gröning in Luxemburg mit einer Spannweite zwischen kindischem Falsett und gewaltsam maskulinem Brustton der Verzweiflung des am Leben gescheiterten Dichters Ausdruck verleiht, wenn Marek Gaszteckis vollklingender Oberlin neutrale Väterlichkeit ausstrahlt und der Kaufmann von Lorenzo Caròla mit hellem Tenor hilflos-ironisch kommentiert, wenn der "Chor" aus sechs exzellenten Solisten zugleich bedrängende "Stimmen" verkörpert und an die Choräle der Barockpassion anknüpft - diese Verbindung aus sängerischer Kompetenz und emotionaler Eindringlichkeit demonstriert vor allem eins: Wie bodenlos die Existenz des Dichters und Theologen Lenz geworden ist. Gegenwart ohne Halt - Leben ohne Fundament

Dazu breitet die hervorragende Beethoven-Academie unter der Leitung von Alejo Perez präzise die Vielfalt der Klanggestalten in Rihms Partitur aus, ihre hellen, fahlen und doch charakteristischen Farben. So dreht sich eine Spirale der Hoffnungslosigkeit, bis nur Leere bleibt. "Jakob Lenz" ist keine Oper über Vergangenes im Spiegel einer literaturhistorisch interessanten Erzählung. Das Werk erzählt vom Ende aller Gewissheiten angesichts der Vielfalt von Eindrücken, Stimmen und Stimmungen in der Moderne. Die ebenso reiche wie verwirrende Polyphonie der Partitur ist Chiffre - für eine Gegenwart, die keinen Halt mehr bietet, für ein Leben ohne Fundament.

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