Eingehüllt in eherne Klänge

TRIER. Ein großes, transportables Glockenspiel im Trierer Dom, dazu die Schwalbennest-Orgel und anschließend die Turmglocken in der Stadt. Der "Schwing"-Zyklus im rheinland-pfälzischen Kultursommer startete mit einem eindrucksvollen Doppelkonzert.

 Begegnung mit einzigartigen Klängen:. Boudewijn Zwart vor seinem "Concert Carillon".Foto: Willi Speicher

Begegnung mit einzigartigen Klängen:. Boudewijn Zwart vor seinem "Concert Carillon".Foto: Willi Speicher

Es schwingt ein Geheimnis mit in den ehernen Klängen der Glocken, und das erschöpft sich nicht in der religiösen Dimension. Glocken sind mehr: Tonkräftig und doch ausschwingend, fixiert in der Tonhöhe und doch nicht ganz fassbar, akustisch weithin präsent und doch in aller Regel weit weg auf den Türmen. Und ihr Klang, so fern er auch sein mag, erzeugt ein Gefühl des Eingehülltseins, vielleicht sogar des Geborgenseins, wie es sonst keinem Instrument, keinem Ensemble und auch keinem Toncomputer gelingt. Wahrscheinlich kann nur die Kirchenorgel trotz ihres andersartigen Klangnaturells diese eigentümliche Empfindung beschwören. Eine Begegnung mit einzigartigen Klängen

Welch ein Erlebnis, die Veranstaltung "Schwalbennest und Reisendes Glockenspiel" im überfüllten Trierer Dom! Nicht nur ein Konzert mit Instrumenten, Kompositionen und Interpreten, sondern mehr: eine Begegnung mit einzigartigen Klängen und Klangkombinationen. Wenn Boudewijn Zwart, der niederländische Glockenspieler, sein "Concert Carillon" anschlägt, ein drei Tonnen schweres und dennoch transportables Glockenspiel, dann eröffnet sich eine neue Welt. Die Glocken, die nach dem Anschlag erst allmählich verklingen, greifen akustisch ineinander, erzeugen Konsonanzen, Reibungen, Spannungen und Lösungen. Ob die Musik von John Cage oder Erik Satie stammt, ob es Originalkompositionen von Samuel Barber, Willem de Fesch, Matthias Van Den Gheyn oder Jef Denijn sind - immer zaubert Zwarts wunderbar virtuoser und nuancierter Anschlag neue, inter-essante Harmoniewelten herauf. Und Josef Still an der Domorgel: Mit dem "Carillon Orléanais" von Henri Jules Joseph Nibell, mit Petr Ebens Auftragswerk "Campanae gloriosae" für den Trierer Dom, mit Maurice Duruflés eher konventioneller "Fuge über das Thema der Glocken in der Kathedrale von Soissons" und Louis Viernes unspektakulär souverän musiziertem "Carillon de Westminster" lieferte er Ergänzungen - nein: Gleichklänge. Sie zeigten, wie nahe sich Glocken und Kirchenorgel trotz aller Unterschiede stehen. Glocken und Orgel beschwören gemeinsam ein gleichsam akustisches Lebensgefühl. Statt der ordnenden, zielgerichteten, anschaulichen Dimension, die sich dem Auge eröffnet, klingt in der Welt von Orgel und Glocken anderes an: etwas Schweifendes, Fließendes - eine Alternative zur Zweckrationalität und dem zielgerichteten Denken im optischen Zeitalter. Freilich ist das Repertoire der Glockenspiel-Originalkompositionen noch schmal. Schuberts "Ave Maria", Bachs geschickt bearbeitete d-Moll-Toccata und sogar der Ensemblesatz "Das klinget so herrlich" aus Mozarts "Zauberflöte" eignen sich nur bedingt für den ungedämpften, nachhallenden Glockenton. Da wird der Klang unstrukturiert und diffus, wie ein Mosaik, dessen Steine sich gelöst haben. Aber das Faszinierende des Konzerts wird dadurch gar nicht berührt: Dass nicht die Instrumente klingen, sondern der Dom, dass die Musik nicht da bleibt, wo sie entsteht, sondern überall genau so präsent ist wie an der Tonquelle.Die ganze Stadt tönt mit den Turmglocken

Und was im Dom gelang - die anschließenden "Campanae Trevirense" übersetzten das in die ganze Innenstadt. Ein Turmglockenkonzert von Dom, St. Gangolf und Konstantin-Basilika abends, bei Einbruch der Dunkelheit. Geläute lösen ein-ander ab, ergänzen sich, treten zueinander in Konkurrenz, schwellen an und verebben. Eine große Besucherschar wandert mit von Platz zu Platz, von Turm zu Turm. Die ganze Stadt tönt und schwingt. Und die Welt wird anders - umfassend, tiefgründig, träumerisch, seelenvoll. Welche optische Darstellung, welcher Plan, welche virtuelle Stadtansicht könnten das vermitteln?

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