Einmal zurück in die gute alte Zukunft, bitte!

Trier · Er steht für spektakuläre Mammut-Konzerte vor Millionenpublikum, hat seinen Namen als Elektronik-Pionier verewigt - und doch gibt es Gründe dafür, warum Jean Michel Jarre in Trier und anderswo derzeit in spärlich besetzten Arenen spielt. Ein Erklärungsversuch nach dem durchaus gelungenen Konzert des 63-Jährigen in Trier.

 Nach Hause telefonieren? Stopp, das ist der falsche Film: Jean Michel Jarre spielt so ziemlich jedes elektronische Instrument – und manches klingt heute noch außerirdisch. Die Laser-Harfe macht auch optisch einiges her. TV-Foto: Willy Speicher

Nach Hause telefonieren? Stopp, das ist der falsche Film: Jean Michel Jarre spielt so ziemlich jedes elektronische Instrument – und manches klingt heute noch außerirdisch. Die Laser-Harfe macht auch optisch einiges her. TV-Foto: Willy Speicher

Trier. Die Konzert-Analyse des Pissoir-Nachbarn fällt knapp aus. "Kennt man ein Stück, kennt man alle", sagt er, tropfend. Nur Überhöflichkeit verhindert die Antwort: "Schon mal AC/DC gehört? Hm? Oder die Ramones?"
Donnerstagabend bei Jean Michel Jarre in der Arena Trier. Rund 6000 Leute passen rein, aber gerade mal 1000 sind gekommen. Die stillschweigende Übereinkunft ist: Hier und heute wird keine Geschichte geschrieben, vergiss es, aber es wird Geschichte auf die Bühne gebracht. Die Musikhistorie eines jung gebliebenen Franzosen, der mal vor bis zu drei Millionen (!) Zuschauern live auftrat und der zum absoluten Star wurde. Obwohl er konsequent auf Gesang verzichtet. Und obwohl er seine Stücke nicht auf gnadenlose Tanzbarkeit trimmt.
Das Instrumental-Album "Oxygène" (1976) wurde zwölf Millionen Mal verkauft. Das sind die kleinen Wunder der 70er Jahre, als die Synthesizer noch nach furnierter Schrankwand aussahen und moderne Laser-Technik noch nicht dem lebensgelangweilten Fußball-Fankurvler zugänglich war.
Die Bühne ist bei Jarre, inzwischen 63, ein Technikmuseum. Seine drei Kollegen und er sind umgeben von Türmen aus analogen Synthesizern, zwischendurch spielt Jarre auf der Laser-Harfe. Das längste Solo des Abends kommt vom Theremin - dem vor rund 90 Jahren entwickelten Vorläufer aller Synthesizer, der immer ein bisschen so klingt, als docke ein Ufo aus Raumpatrouille Orion direkt am Kleinhirn an. Zwei Stunden lang spielt sich JMJ durch seine Varianten aus "Oxygène", "Equinoxe" oder "Magnetic Fields". Das klingt schon wegen des Instrumentariums immer auch nach 70ern, nach dem Soundtrack zur Kosmos-Tour oder zum Strand abend. So klang die Zukunft von gestern. Aber auch erfolgreiche junge Bands investieren inzwischen gerne in alte analoge Synthesizer. Die Musikwelt liebt die Zyklen: Was gestern hoffnungslos anachronistisch war, ist vielleicht die heißeste Sache von morgen. Klar, Jarre lebt von seiner Vergangenheit, er liegt dazwischen. Wie sein aktuelles Album heißt? Das weiß außer dem Fanclub in den ersten Reihen und ein paar Dauerinformierten wohl kaum einer (Antwort: "Téo & Téa" von 2007).
Gegen Ende der zweistündigen Show kommt Stimmung auf, vorher hatte das Publikum von den Sitzen aus eher andächtig zugehört. Dabei sind es nicht die großen Momente des Konzerts, wenn der Franzose zum Mitklatschen auffordert und statt der opulenten, pathosbefeuerten warmen Klänge zwischenzeitlich so was wie Elektro-Schlager durch die Boxen schickt. In diesen Momenten merkt man, dass man doch nicht in die späten Siebziger katapultiert wurde.

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