Einzigartige Begegnung, einzigartige Musik

Über Karlheinz Stockhausen ist das Klischee vom musikalischen Zerstörer und ästhetischen Weltverbesserer im Umlauf. Doch die Aufführung von "Mantra" in der Philharmonie Luxemburg, zeigte, welche immense musikalische Kraft dieser Komponist aufbieten konnte, der im Dezember 2007 starb.

 Äußerst sensibel und dennoch deutlich: Pascal Meyer (vorne) und Xenia Pestova spielen Stockhausens „Mantra“ an zwei Klavieren. Foto: Philharmonie Luxemburg

Äußerst sensibel und dennoch deutlich: Pascal Meyer (vorne) und Xenia Pestova spielen Stockhausens „Mantra“ an zwei Klavieren. Foto: Philharmonie Luxemburg

Luxemburg. Da war es wieder: das Fließende, sich Verströmende, Warmherzige und Grundmusikalische, das Karlheinz Stockhausen in seinen besten Werken auszeichnet - und das gerade bei strengen Konstruktionen. Pascal Meyer und Xenia Pestova an zwei Klavieren und der Toningenieur Jan Panis blieben dem Großwerk "Mantra" von 1970 nichts an Sensibilität, Klarheit, musikalischer Intelligenz, Einfühlungsvermögen, Deutlichkeit und auch Dezenz schuldig. Das Genie des Komponisten und die Kompetenz der Interpreten griffen ineinander und hoben diesen Abend im voll besetzten Experimentalstudio der Luxemburger Philharmonie in den Rang einer einzigartigen Begegnung mit einer einzigartigen Musik. Karlheinz Stockhausen hatte mit "Mantra" nach seinem genialen Frühwerk und einer provokativ-unsicheren Experimentalphase einen neuen Ansatz gefunden. Der Komponist stellte sich in die Tradition der großen Variationszyklen von Bach bis Schönberg. Die Ableitung des Werks von einer melodisch-rhythmischen Formel ist dabei kein abstraktes Prinzip. Sie wird in der Einheitlichkeit und Geschlossenheit spürbar, die diese Komposition bei aller Vielfalt auszeichnet. Stockhausen schreibt eine einleuchtende musikalische Syntax.Zwischen Entrückung und martialischer Drastik

Klanggestalten beziehen sich aufeinander. Spannungsverläufe werden spürbar. Die Musik ruht mal versunken in sich, greift mal aus zu Höhepunkten, bewegt sich in einem weiten Feld zwischen meditativer Entrückung, martialischer Drastik, in sich kreiselnden Perpetuum-mobile-Figuren und impressionistischer Klanglichkeit. Sie streift dabei planvoll die Groteske und bleibt doch weit entfernt von der Abstrusität, die der Volksmund der Konzertsäle Stockhausen andichtet. "Mantra" belegt zudem, dass dieser unkonventionelle Komponist kein musikalisch-mystischer Träumer war, sondern sich auf sein Metier verstand. Der Klavierklang, der bei Komponisten geringeren Rangs dumpf und zufällig wirken kann, erhält einen Glanz, eine Klarheit und Transparenz, die den Vergleich mit Beethoven herausfordern. Das perfekt aufeinander eingespielte Klavierduo Meyer/Pestova, das nicht nur auf der Tastatur glänzte, sondern auch mit Schlagwerk (Holz/Metall), Elektronik und in einem Abschnitt sogar mit den Stimmen - dieses Duo hatte einen wesentlichen Anteil an der Deutlichkeit, die diese Musik entfaltete. Und Jan Panis regelte die Elektronik so geschickt und dezent, dass sie nicht wie eine Zutat heraussticht, sondern sich mit Klavieren, Schlagwerk und Stimmen zu einer akustischen und konstruktiven verbindet - 70 Minuten vielfältige, einfallsreiche, vieldimensionale und dabei klar strukturierte Musik. Welch großer Moment, wenn sich gegen Ende des Zyklus die musikalische Entwicklung in großflächigen, sich wiederholenden Figuren staut! Wie eindringlich, wenn der Komponist zu einer weit ausholenden, flächigen Abschlussphase ausholt und damit die Energien der musikalischen Entwicklung abfängt, als wäre der Abschnitt eine klassische Coda! Karlheinz Stockhausen hat mit "Mantra" ein Großwerk geschrieben. Es ist an der Zeit, diesen bedeutenden Komponisten auch beim Traditionspublikum in seine Rechte einzusetzen. Die Luxemburger Veranstaltung könnte dazu ein Schritt sein.

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