Elektrisierende Entdeckung in karibischen Schwämmen

Trier · Discodermolid ist eine Biowaffe karibischer Meeresschwämme, die auf nobelpreiswürdigem Weg nachgebaut, aber noch nicht wie gehofft als Arzneimittel verwendet werden konnte. Diese Woche stellt die Serie des Deutschlandfunks in Kooperation mit dem Trierischen Volksfreund das Molekül vor.

 Ein Meeresschwamm produziert die Biowaffe, um sich vor Feinden zu schützen. Foto: Harbor Branch Oceanographic Institute

Ein Meeresschwamm produziert die Biowaffe, um sich vor Feinden zu schützen. Foto: Harbor Branch Oceanographic Institute

Trier. 60 Gramm. Da wiegt eine Tafel Schokolade mehr. Aber für die künstliche Synthese eines exotischen Naturstoffes kann das schon eine ganz ordentliche Ausbeute sein. So sprach man von einem Meilenstein, als es der Pharmakonzern Novartis vor knapp zehn Jahren fertigbrachte, 60 Gramm Discodermolid im Labor nachzubauen. Nein, nein! Weder fluoresziert das Molekül wie eine Diskokugel, noch neigt sein Produzent zu tänzerischen Einlagen. Der sonderbare Name der Substanz leitet sich von einem karibischen Meeresschwamm ab, den Zoologen einst Discodermia dissoluta tauften und Taucher später bei gezielten Expeditionen vor den Bahamas aus 30 Metern Tiefe ans Tageslicht holten.UN-Jahr der Chemie: Das Molekül der Woche

Dem sesshaften Tier nutzt Discodermolid vermutlich als Biowaffe gegen Fressfeinde oder den Befall mit Mikroben. Pharmazeuten elektrisierte das Naturgift sofort, als sich bei Zellkulturversuchen zeigte, dass es ähnlich und sogar noch stärker wirkt als Taxol, ein bewährter Wirkstoff in Krebsmedikamenten. Nur wäre es Quatsch gewesen, die Schwämme auf See zu ernten. "Discodermolid kommt nur in extrem geringen Konzentrationen in ihnen vor", erläutert Gabriele König, Professorin für Pharmazeutische Biologie an der Universität Bonn. Ausreichende Mengen für die Erprobung und Anwendung als Arzneistoff hätte man so nicht zusammenbekommen.Doch es gibt ja findige Forscher. Drei von ihnen - der US-Amerikaner Richard Heck und die beiden Japaner Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki - teilten sich erst im vergangenen Jahr den Chemie-Nobelpreis. Sie hatten sogenannte Kreuzkupplungsreaktionen zwischen organischen Kohlenstoffverbindungen ausgetüftelt, mit dem Edelmetall Palladium als Katalysator. Dieser Syntheseweg erwies sich als goldene Lösung. Damit gelang es vor gut zehn Jahren, Discodermolid in mehreren Schritten synthetisch herzustellen.Der Nobelpreis rückte auch das Molekül aus dem Meer wieder ins Rampenlicht. Doch allgemein ist es um Discodermolid inzwischen stiller geworden. Es gab zwar klinische Studien mit Krebspatienten. Doch sie wurden vorzeitig abgebrochen, wegen zu starker Nebenwirkungen. Noch immer träumen Arzneiforscher aber davon, Discodermolid eines Tages in der Kombinationstherapie mit anderen Krebsmedikamenten einzusetzen. So wie das ebenfalls von einem Meeresschwamm fabrizierte Halichondrin B. Es diente als Vorbild für ein Zytostatikum, das kürzlich in den USA zugelassen wurde.Mit Sicherheit lässt sich auch weiterhin nur eines über Discodermolid sagen: Trotz der namentlichen Assoziation hat es definitiv nichts mit Diskotheken zu tun oder dort verloren.Dieser Beitrag läuft am 14. Mai im Deutschlandfunk im Rahmen der Reihe "M3 - Mraseks Molekül-Mosaik", immer mittwochs um 16.35 Uhr, in der Sendung "Forschung aktuell". In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Infos im Netz unter www.dradio.de/jahrderchemie

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