Staraufgebot in Luxemburg Die wichtigste deutsche Band der Welt: Kraftwerk in der Abtei Neumünster

Luxemburg · Das sind die Roboter – zum Glück: Die Elektro-Pioniere Kraftwerk präsentieren sich beim Auftritt in Luxemburg tanzbar, irgendwie museal und doch zeitlos. Was das mit Robbie Williams und den Beatles zu tun hat – und was sogar noch besser sein könnte.

1, 2, 3, 4 Männer, 1, 2, 3, 4 Pulte –  ergibt eine Musiklegende:  Kraftwerk spielten am Mittwochabend im Innenhof der Abtei Neumünster in Luxemburg.

1, 2, 3, 4 Männer, 1, 2, 3, 4 Pulte – ergibt eine Musiklegende: Kraftwerk spielten am Mittwochabend im Innenhof der Abtei Neumünster in Luxemburg.

Foto: picture alliance / Mike Tudor / Rmv/RMV via ZUMA Press/dpa/Mike Tudor / Rmv

Das war schon ein ziemliches Promi-Aufkommen, eine wilde Woche, sie alle spielten innerhalb von wenigen Tagen in Luxemburg: internationale Musikgrößen wie die Arctic Monkeys und Robbie Williams, deutsche Stars wie Peter Maffay und Paul Kalkbrenner – und am Tag nach Robbie Williams kehrte mit Kraftwerk die weltweit bedeutendste deutsche Band der Musikgeschichte zurück auf die Bühne im Innenhof der Abtei Neumünster: Kraftwerk. Eine Nummer kleiner geht’s da leider nicht – die Düsseldorfer inspirierten dank ihrer Pionierarbeit von den frühen 1970ern bis in die 1980er nicht nur einzelne Musiker und Bands von David Bowie über Depeche Mode bis hin zu Coldplay, die sich für ihren Hit „Talk“ beim Kraftwerk-Song „Computerliebe“ bedienten. Auch Rammstein spielt etwa im Stück „Radio“ auf Kraftwerk an. Ohne die Düsseldorfer wären auch ganze Genres in der elektronischen Musik kaum vorstellbar. So hält der renommierte britische Musikjournalist und Autor Paul Morley Kraftwerk für „wichtiger als die Beatles“, aber darüber lässt sich sicher streiten.

Zwei Musikstars, die kaum unterschiedlicher sein könnten Im direkten Luxemburg-Vergleich könnten die Unterschiede zwischen den Musiklegende Ralf Hütter – einziges verbliebenes Gründungsmitglied von Kraftwerk, inzwischen 76 Jahre alt – und Popstar Robbie Williams kaum größer ausfallen, nicht nur musikalisch: Robbie, die Rampensau: voller Bewegung, voller Geschichten, voller Emotionen. Und Ralf, der Roboter: Der Herr links am Pult, wie die drei anderen – Fritz Hilpert, Henning Schmitz, Falk Grieffenhagen – im Gitteranzug, bei dem sich die Farben passend zu den Videoanimationen ändern. Keine Ansagen, kein „danke“, nur ein „auf Wiedersehen“, so viel Mensch darf sein, als Hütter als Letzter nach knapp zwei Stunden Show die Bühne verlässt, auch wenn er dabei keine Miene verzieht, natürlich nicht. Das ist das Kraftwerk-Image: technisch, unterkühlt, die Stimme gerne verfremdet, ob in Stücken wie „Radioaktivität“, die „Mensch-Maschine“ oder „Computerwelt“ – in Luxemburg werden die Songs in der internationalen Version gespielt, statt „Wir sind die Roboter“ heißt es dann eben „We are the Robots“. Und auf die Zeile „sie trinkt in Nachtclubs immer Sekt – korrekt!“ muss man beim Hit „Das Modell“ dann auch verzichten.

Kraftwerk inszeniert sich seit Jahren sehr erfolgreich als Gesamtkunstwerk: Sie spielten ihre Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art oder auch in der Berliner Nationalgalerie, acht Alben an acht Tagen in Folge. Auf den Touren durch die ganze Welt – auch in den USA, wo Robbie Williams nie wirklich Fuß fassen konnte – spielen sie ein Best-of-Set.

Alles ist anders - und das meiste bleibt gleich Seit 1970 gibt’s Kraftwerk, anfangs noch mit Gitarren und konventionellem Schlagzeug, vor einem halben Jahrhundert ging es mit Elektropop los („Autobahn“). Und nun stand das vierte Gastspiel der Bandgeschichte in Luxemburg an – nach 1981, 2002 und 2019. Das ist erst vier Jahre her, war ebenfalls an der Abtei Neumünster. Aber dazwischen ist einiges passiert: die Pandemie mit ihren Auswirkungen, der Tod von Kraftwerk-Mitbegründer Florian Schneider (der allerdings schon seit 2009 aus der Band ausgestiegen war), ihre Aufnahme als erste deutsche Gruppe in die „Rock’n’Roll of Fame“ 2021. Und auch das Publikum sah vor vier Jahren anders aus – was aber nur daran liegt, dass Kraftwerk damals noch 3D-Shows gespielt und vorher entsprechende Brillen an die Fans verteilt hatten. Das war ein netter Effekt, aber auch nicht mehr.

Und, wie war‘s? Das ist eigentlich eine rhetorische Frage, eine Konzertrezension ist nun mal eine subjektive Sache, immer schon gewesen. Aber mal ganz persönlich: Ich habe Kraftwerk nun vier Mal live gesehen. Das erste Mal vor knapp acht Jahren im Kölner „Palladium“, zweite Reihe oder so, zwischen Fans aus England, die der Band immer wieder hinterher reisen: ein großartiges Erlebnis, die Songs, der Sound, die 3D-Animationen, die Atmosphäre. Das unwiederbringliche erste Mal, jedenfalls für mich. Das zweite Mal: das Kraftwerk-Heimspiel in Düsseldorf, passend zum Auftakt der Tour de France in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt – der Grand Départ im Juli 2017. Auch das war ganz großes Kino. Das dürfte auch für Tour-Fan Hütter etwas ganz Besonderes gewesen sein: Da kommen bei ihm fast schon Emotionen durch.

Kraftwerk-Mitbegründer Ralf Hütter.

Kraftwerk-Mitbegründer Ralf Hütter.

Foto: picture alliance/dpa/Henning Kaiser

Da konnte das dritte Mal – 2019 in der Abtei Neumünster – nicht ganz mithalten, trotz der tollen Location. Ob die vier Kraftwerker an einem Abend nun besser oder schlechter drauf sind, fällt weniger ins Gewicht als bei anderen Bands. Und nun, bei einem fast identischen Programm, vor den vier nicht mehr ganz jungen Herren, bei denen man nie sieht, was sie genau machen? Aber das ist bei DJs nicht anders. War‘s noch mal besser, für mich jedenfalls, auch wenn die Setlist gerne noch mal variiert werden dürfte. Vielleicht wegen der drei, vier begeisterten, ziemlich jungen Kraftwerk-Fans vor mir, die ihr Privileg der Premiere feiern konnten. Die noch nicht wissen, was passiert, was kommen wird, wo das „Spacelab“ landen wird, das auf der LED-Wand Richtung Erde zurückkehrt (in diesem Fall: vor der Bühne auf dem Innenhof der Abtei). Vielleicht auch, weil die Stücke immer noch so zeitlos wirken in einer musikalischen Gegenwart, die in vielen Genres heute oft nur noch verwaltet, was Kraftwerk einst auf die Gleise gesetzt hat.