Elend im feinen Museumston

Trier · 2500 Jahre europäischer Armutsgeschichte sind zur Zeit in Trier zu sehen (der TV berichtete mehrfach), davon knapp 2000 Jahre im Stadtmuseum Simeonstift. Unter den Exponaten sind auch Arbeiten von Picasso, Kollwitz und Brueghel.

Trier. Armut ist mehr als ein Mangel an materiellen Gütern. Arm ist auch, wer keinen Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge hat und von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist. Vielfach besteht eine Wechselwirkung zwischen Besitzlosigkeit und gesellschaftlicher Ausgrenzung, was nicht zuletzt die Schicksale unzähliger Arbeiter-Migranten belegen. Wie mit Armut umzugehen ist, hängt mit dem Selbstverständnis einer Gesellschaft und ihrer Bewertung von Mangel ab. Nicht immer wird Armut als Einschränkung oder Last empfunden. In der selbst gewählten Besitzlosigkeit von Ordensleuten und Philosophen, im Lob des einfachen Lebens wird Armut zum Ideal, das Freiheit schafft und den Blick aufs Wesentliche richtet.Fünf Perspektiven der Armut

Aus fünf Perspektiven - Dokumentation, Appell, Ideal, Stigma und Reform - verbildlicht die Schau im Trierer Stadtmuseum Simeonstift vornehmlich an Kunstwerken das breite Spektrum des Armutsbegriffs und seine sozial- und kulturgeschichtliche Wirkung vom Mittelalter bis heute. Gezeigt werden Gemälde, Grafiken, Fotografien, Skulpturen und Objekte. Dazu kommen Zeugnisse der Armutskultur wie Steuerlisten, ein Armenkasten, aber auch ein Armutsatlas, Spendenaufrufe und andere Dokumente. Das Konzept, Armut im Spiegel der Kunst zu verbildlichen, ist reizvoll. Ohnehin ist man bei der Auseinandersetzung mit historischen Themen häufig auf kunstgeschichtliche Bildinformationen angewiesen. Allerdings ist ein solches Konzept nicht problemlos. Will doch ein Kunstwerk per se nicht nur illustrieren. Es steht für sich selbst, mit seiner Sinnhaftigkeit, die weit über die Abbildung und zeitgeistige Aktualität hinausreicht. Das wird gleich zu Beginn der Perspektive "Dokumentation" deutlich, wo Dorothea Langes großartige Landarbeiterin in eine unbekannte Ferne schaut. Entstanden ist das berühmte Foto 1936 als Auftrag, das Elend amerikanischer Wanderarbeiter zu dokumentieren. Längst ist das Dokument zur Ikone geworden, die sich einem Andachtsbild gleich aus ihrem realen Zusammenhang gelöst hat. Auch Jacques Callots "Bettler" dürften sich weniger der Sozialkritik verdanken, als der schaurig-schönen Faszination des Abseitigen. Eine der eindringlichsten Abteilungen dieser Ausstellung ist die Perspektive "Appell" mit den engagierten Grafiken von Käthe Kollwitz und Max Beckmann und Karl Hofers eindrucksvollem Gemälde "Arbeitslose". Ein wenig zu elegant: Hans Barlachs "Russische Bettlerin". Etwas verwirrend trotz wunderschöner Exponate wie Pieter Brueghels d. J. "Die sieben Werke der Barmherzigkeit", einer anmutigen heiligen Elisabeth aus dem Umkreis Tilman Riemenschneiders oder einer opulenten "Caritas" des Niederländers Cornelisz van Haarlem stellt sich die Abteilung "Ideal" dar. Ist doch die ins Bild gesetzte Caritas kein Ideal der Armut, sondern wie die heilige Elisabeth eine Personifizierung der Nächstenliebe, zu der auch Armenfürsorge gehört. Pablo Picassos Radierung "Das karge Mahl" schafft dort das Bildnis einer grauen trostlosen Welt, das weit über die Trivialität alltäglicher Verhältnisse hinausweist. "Stigma" widmet sich dem Armutsrisiko des "Fremd- und Andersseins". Eindrucksvoll: Kálmán Váradys Fotoserie "Familie".Die Perspektive "Reform" schließlich verweist auf die sozialkritische Theorie und Konzepte zur Armutsbekämpfung und -verhütung. Hier kommt mit Caspar Olevian, Oswald von Nell-Breunings Soziallehre und natürlich Karl Marx auch die Rolle Triers in der Geschichte der Armut ins Spiel. Zutreffend und witzig: Karl Marx als Salon-Revolutionär. Mit dem Film "Ausländer raus!" über Christoph Schlingensiefs Containeraktion und Winfried Baumanns "Instant Housing" endet die Schau engagiert und zeitgenössisch.Gute Orientierung

 Aus dem Umkreis von Tilman Riemenschneider stammt die „Heilige Elisabeth“. Foto: Lothar Schnepf

Aus dem Umkreis von Tilman Riemenschneider stammt die „Heilige Elisabeth“. Foto: Lothar Schnepf

 Käthe Kollwitz hat Armut und Elend in vielen ihrer Werke thematisiert, in Trier ist die Zeichnung „Brot!“ (Ausschnitt) zu sehen. Foto: VG Bild-Kunst

Käthe Kollwitz hat Armut und Elend in vielen ihrer Werke thematisiert, in Trier ist die Zeichnung „Brot!“ (Ausschnitt) zu sehen. Foto: VG Bild-Kunst

Den Kuratoren Nina Trauth und Frank G. Hirschmann ist eine sehr interessante Schau gelungen. Nicht immer funktionieren allerdings die Kunstwerke im Miteinander. Die farbige Fassung der einzelnen Abteilungen sorgt nicht nur für gute Orientierung. Sie schafft auch einen intimen Kabinettcharakter. Allerdings hätte man sich die Schau ein wenig provokanter gewünscht. So erlebt man die Armut im feinen Museumston, mit Kunstgenuss und ohne sich daran den Magen zu verderben.Die Ausstellung ist noch bis 31. Juli zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, umfangreiches Begleitprogramm, Telefon: 0651/718-1459,Mehr zum Thema unter www.volksfreund.de/armut

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort