Endlich mal ohne die Erwachsenen

Auch Luxemburg leidet allgemein unter den Folgen der globalen Wirtschaftskrise. Auf die Kultur wirkt die sich jedoch vorläufig kaum aus. Krisensymptome sind im neuen Saisonprogramm der Philharmonie jedenfalls nicht zu entdecken.

Luxemburg. Die Wirtschaftskrise nähert sich der Luxemburger Kultur wie ein Phantom: auf leisen Sohlen und mit unscharfen Konturen. Auf der Spielplanpressekonferenz der Philharmonie stimmten Kulturministerin Octavie Modert und Philharmonie-Präsident Damien Wigny nur in gedämpfter Tonlage das Lied von den Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung für die Kultur an. Generaldirektor Matthias Naske bemerkte dazu vorsichtig, der Topf der öffentlichen Förderung werde nicht größer und könne sogar "etwas kleiner" werden.

Alle drei Akteure auf dem Podium des Philharmonie-Kammermusiksaals waren sich indes darin einig, dass Sparmaßnahmen nicht auf Kosten der Qualität gehen dürften. Außerdem, so Naske, habe man in der Vergangenheit "gut gewirtschaftet" und Rücklagen gebildet. Und im Übrigen, so erklärte die Ministerin auf eine Nachfrage zur Höhe des Budgets, sei ja noch gar nichts beschlossen worden. Was sie damit andeutete, sprach ein Veranstalter im persönlichen Gespräch offen aus: dass die Luxemburger Kultur hofft, die Krise ohne Einbußen zu überstehen und deswegen über einen Verzicht auf fixierte Budgets nicht unglücklich ist. Dem Programm der kommenden Spielzeit sind Krisensymptome in der Tat nicht anzumerken. Es verbindet konservatives Beharrungsvermögen mit Einfallsreichtum im Detail. Erneut finden Innovationen nicht in den spektakulären Großveranstaltungen statt, sondern in dem Bereich, der in der Kultur-Öffentlichkeit allzu leicht an den Rand gerät. Dass die Orchesterkonzerte - diesmal unter anderem mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Altmeister Herbert Blomstedt - Publikumsmagnete sind, versteht sich ebenso wie die Tatsache, dass sich die Programme um Gustav Mahler (gestorben 1911) drehen.

Wohltuende Verstöße gegen die Prinzipien



Und selbstverständlich bürgen auch Zubin Mehta, Nikolaj Znaider, Colin Davis, Angelika Kirchschlager, Cecilia Bartoli und Ian Bostridge für volle Häuser - zumal es der Intendanz gelang, den jungen englischen Startenor für eine Spielzeit als "Artist in Residence" an das Haus zu binden.

Mit den in der Tat außergewöhnlichen "Concerts exceptionels" beginnt dann das Feld der (künstlerischen) Experimentier- und (finanziellen) Risikofreude. Thomas Quasthoff mit Pop, Soul und Blues, Pierre Boulez erstmals als Dirigent in Luxemburg, ein Streicherkonzert unter dem verführerischen Titel "Liebestod" und, mit Ian Bostridge, eine zweitägige "Schubertiade" mit Liedern und Kammermusik des Frühromantikers - solche Konzepte verstoßen wohltuend gegen die Prinzipien eingefahrener Kultur-Gemütlichkeit.

Zeitgenössische Musik aller Stile und Gattungen war noch nie in der Philharmonie so prominent präsent. Mit Sonny Rollins, Hank Jones, Till Brönner und Brad Mehldau betreten die Größen aus Jazz-Tradition und Jazz-Moderne die Bühne des Hauses, und die Weltmusik lockt mit Flamenco-Gitarrist Paco de Lucia oder der kapverdischen Sängerin Carmen Souza. Die Neue Musik glänzt nicht nur mit Boulez, sondern auch mit Helmut Lachenmann, Jörg Widmann und, vor allem, wieder mit dem kleinen Festival "rainy days" im November 2010.

125-mal in der kommenden Spielzeit öffnet das Haus auf dem Luxemburger Kirchberg seine Pforten speziell für Kinder und Jugendliche. Hinter Serientiteln wie "1,2,3 … musique", "Loopino" oder "Philou" verbergen sich maßgeschneiderte Mischungen aus Musik und Darstellung. Wobei sich die Serien "Philou" (5-9 Jahre) und "Miouzik" (9-12 Jahre) in Deutsch auch an Besucher östlich der Sauer richten. Für die 13- bis 17-Jährigen hat man sogar eine "elternfreie Zone" eingerichtet. Das Abonnement mit dem zeitgerechten Namen "iPhil" steht nur der jugendlichen Altersgruppe zu, alle anderen müssen sich mit Einzelkarten zu höheren Preisen begnügen und notfalls an der Abendkasse anstehen. Und schließlich offeriert das Haus auch wieder Veranstaltungen für Behinderte.

Die Verantwortlichen der Philharmonie blicken entschieden nach vorne. So fiel die Bilanz der laufenden Spielzeit eher mager aus. Immerhin verzeichnete man eine stetige Zunahme der Veranstaltungen von 268 im Jahr 2006 auf 413 in 2009. Die verkauften Abonnements stiegen von 6993 (2006/2007) auf stolze 11 115 (2009/10). Und nach dem einsamen Besucherrekord von 168 414 im Jahr 2007 hielten sich 2009 immerhin 158 597 Musikfreunde im luxemburgischen Konzerthaus auf - genau 3928 mehr als im Vorjahr.

Info: (00352) 2632 2632.

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