Theater Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Trier · „Endstation Sehnsucht“ ist eines der bekanntesten amerikanischen Dramen. In der Trierer Inszenierung bleiben allerdings einige Erwartungen offen.

„Endstation Sehnsucht“ im Theater Trier: Stephanie Theiß (von links) als Blanche, Isa Weiß als Stella und Martin Geißen als Mitch. 

Foto: Martin Kaufhold, Theater Trier/Martin Kaufhold

Ein Familiendrama wollte der Regisseur auf die Bühne bringen. Nun gut; diese Anforderung hätte auch eine Episode vom „Bergdoktor“ erfüllt, bei dem es ebenfalls um Erbschaftsangelegenheiten, Ehebruch und alles andere geht, was Familien so mit sich herumschleppen. Aber ein Stück von Tennessee Williams, diesem Experten für Neurosen aus dem Süden, noch dazu dem bekanntesten aus seiner Erfolgstrias „Glasmenagerie“ und „Katze auf dem heißen Blechdach“, nämlich „Endstation Sehnsucht“, auf Schwestern- und Schwagerknatsch zu reduzieren – damit wird Harald Demmer dem Dramatiker dann doch nicht gerecht. Oder liegt es daran, dass der amerikanische Autor dem (deutschen) Theater mehr und mehr abhanden kommt, weil die Zeit über ihn und seine zermürbenden  Seelenkämpfe hinweggeschritten zu sein scheint?

Doch der Reihe nach. Was haben wir?, fragt der Kommissar üblicherweise, wenn er am Tatort erscheint. Also: Eine rumpelige Zweizimmerwohnung mit der Gemütlichkeit einer Tiefgarage inklusive Feldbett und vollbehängtem Wäscheständer sowie das Bild von einem ba-rackenähnlichen „One-Shot-House“ auf die Rückfront projiziert. Ein „One-Shot-House“, dies kurz zur Erklärung, ist jenes typische amerikanische Billighaus mit Zimmern wie auf einer Perlenkette aufgereiht, so dass ein Pistolenschuss ausreicht, um die Kugel einmal durch alle Zimmer zu jagen. Nur dass es solche Häuser im Vieux Carré, dem historischen Herzstück von New Orleans und Schauplatz der Handlung, überhaupt nicht gibt. Dazu flackert permanent der Titel des Stücks wie die Leuchtreklame eines schäbigen Motels im Hintergrund: EN-ST-TIO- SEH-SUC-T, wobei, wie bei solchen Leuchtreklamen oft üblich, nicht alle Buchstaben zuverlässig funktionieren (das Bühnenbild stammt von Oliver Kostecka).

Nun ist ein fiktionales Stück nicht unbedingt der Wahrheit verpflichtet, doch zumindest der Wahrhaftigkeit. Die drückende Schwüle des Südens, seine Gerüche zwischen betäubend und faulig, seine Rufe und Geräusche und sein magisches Licht – das alles bleibt die Inszenierung schuldig. Zumindest versinkt die Hütte auf der Rückwand im Laufe des Abends im modrigen Ufergrund des Mississippi. Ein offensichtliches Symbol für den Untergang des Hauses Belle Rêve, in dem die Schwestern Blanche und Stella ihre unbeschwerte Jugend verbrachten.

Diese spezielle Atmosphäre zu beschwören reicht es nicht aus, wenn die Orts- und Regieanweisungen des Autors zu Beginn von Tamara Theisen wie von einer Conferencière vorgelesen werden. Im Übrigen spielt sie, kategorisch, kurz und knapp und ebenso gekleidet (Kostüme: Monika Seidl) Eunice, die ebenfalls in prekären Verhältnissen und in einer gewaltgesättigten Partnerschaft mit Steve (Leon Hänig) lebt. Das andere Paar, in sexabhängiger Rohheit einander hörig, wird von Isa Weiß und Jonas Gruber verkörpert. Ihre Stella, die vollkommen mit ihrem Leben auf der ehemaligen Plantage „Belle Rêve“, dem schönen Traum, gebrochen hat, und sein Stanley, animalisch und triebgesteuert, der seiner Frau, als käme er von der Jagd, ein blutiges Stück Fleisch zuwirft, diese beiden vermögen ein berührend realistisches und erschreckend trauriges Bild vom Leben in der Unterschicht zu vermitteln, in dem die Beteiligten in einer Abhängigkeit gefangen sind, die man unter romantischeren Bedingungen Liebe nennen würde. Fast physisch spürbar ist der Panzer, den Stella um sich hochgezogen hat, um nicht an der Realität ihrer Lebensumstände zu zerbrechen, ja, sie nicht einmal zuzugeben. 

Zur allwöchentlichen Pokerrunde gehört neben Pablo (Nima Bazrafkan) auch Mitch. Martin Geisen spielt den einsamen Wolf so ziel- und ratlos, wie er sich Stellas Schwester gegenüber verhält, der er in einem verzweifelten Versuch, seinem Alleinsein zu entkommen, halbherzig den Hof macht.

Und Blanche klammert sich tatsächlich an diesen jungen, unbedarften Mann, als ob er ihre Rettung sein könnte, als ob es tatsächlich noch Hoffnung auf ein friedliches Leben für sie gäbe. Doch Stephanie Theiß ist eine vom ersten Auftritt an zum Untergang bestimmte Verlorene. Damit nimmt sie sich leider die Möglichkeit, den allmählichen und unaufhaltsamen Verfall ihrer Blanche vor den Augen des Publikums zu zelebrieren. Immerhin gibt sie sehr glaubhaft die rastlos Getriebene, der nach all den Wunden, die ihr das Leben geschlagen hat, die als ehemalige Lehrerin nach einer Affäre mit einem Minderjährigen entlassen wurde und nach dem Verlust des Familienbesitzes pleite ist, nur noch die Flucht in den Alkohol und in die Illusionen bleibt. Und sie beherrscht perfekt die Palette weiblicher Verführungskunst vom koketten Augenaufschlag über die halbherzige Zurückweisung und die Empörung darüber, dass Mitch nach all ihren eindeutigen Signalen tatsächlich zudringlich wird.

Geradezu beängstigend real ist auch ihre hysterisch gute Laune, die unweigerlich zum nächsten Stimmungsabsturz führt. Sie lässt sich auf Wortgefechte  mit dem verachteten Schwager zwischen ätzender Ironie und unverhohlener Aggressivität ein, und sie macht auch kein Hehl aus der unterschwelligen Attraktion, die sie dem animalischen „Polacken“ gegenüber empfindet – und die letztlich zu ihrer Vergewaltigung führt. Stephanie Theiß verausgabt sich in geradezu bewundernswerter Weise in ihrer Rolle bis zur vollkommenen Erschöpfung.

Vielleicht hätte Regisseur Harald Demmer sie – besonders in den letzten Szenen des hysterischen Zusammenbruchs – ein wenig bremsen sollen. Denn es wäre sicherlich noch beeindruckender gewesen, wenn der Arzt und die Krankenschwester (Ralf Neisius und Rebekka Pick) sie als gebrochenes Wesen, das sich letztlich doch der Wirklichkeit stellen muss, von der Bühne geführt hätten. So nimmt die Schauspielerin nicht allein wegen ihres vollen Körpereinsatzes daher, sichtlich aufgelöst, den anerkennenden Schlussapplaus entgegen.

Die nächsten Aufführungen:  17. und 26. März sowie 4. April; Karten gibt es online auf www.theater-trier.de, unter der Mailadresse theaterkasse@trier.de sowie unter Telefon 0651/ 718-1818.