Entdeckungen statt Gassenhauer

Trier · Dass die Trierer Tufa reihenweise potenzielle Besucher nach Hause schicken muss, kommt nicht alle Tage vor. Der kleine Saal war entschieden zu klein, um das Publikum bei der Deutschland-Premiere von Annika Krumps neuem Programm "Berlin ist eine Frau" zu fassen.

Trier. Die gebürtige Moselanerin, die seit Jahren in der Hauptstadt lebt, kommt gerne "nach Hause", um neue Programme aus der Taufe zu heben. Das dürfte die ideale Live-Generalprobe sein, bevor man sich in Berlin der riesigen Kleinkunst-Konkurrenz stellt.
Im kleinen Tufa-Saal geht es eher familiär zu. Annika Krump duzt das Publikum, schaut schon mal ungeniert in die Noten und wirkt in ihren Ansagen so locker und unprätentiös wie eine gute Bekannte, die bei der privaten Fete zu später Stunde zum Instrument greift und die Gäste um sich versammelt. Zehn Frauen aus zehn Jahrzehnten stehen exemplarisch für die Chanson-Geschichte Berlins - wobei man feststellen muss, dass die Komponisten meist Männer sind. So wie Friedrich Hollaender, der Diseusen wie Claire Waldorff und Blandine Ebinger die Lieder förmlich auf den Leib geschrieben hat.
Dankenswerterweise hat Annika Krump darauf verzichtet, eine Hitparade der Gassenhauer zusammenzustellen. Sie setzt auf Entdeckungen. Wie etwa Marlene Dietrichs "Das Lied ist aus", ein melancholischer Abschiedsgruß, der beweist, dass sein Komponist Robert Stolz so viel mehr war als der nette Operetten-Onkel vom Blauen Bock. Oder "Nanas Lied", eine klassische Huren-Ballade, die Brecht und Weill für die große Lotte Lenya schrieben.
Im Hintergrund sind dazu Impressionen aus dem Berlin der jeweiligen Epoche zu sehen, triste Hinterhöfe und strahlende Leuchtreklamen. Eine Stadt der Kontraste, und so ist auch die Musik. Hildegard Knef steht für die Wirtschaftswunderzeit, mit "In dieser Stadt kenn\' ich mich aus" aus der Feder des unterschätzten Charly Niessen. Nina Hagen repräsentiert mit ihrem vergessenen Farbfilm die alte DDR, Nena die 80er-Jahre-BRD. Wolf Biermann, Georgette Dee, Judith Holofernes: Annika Krump erweckt sie zum Leben, begleitet sich dabei selbst am Akkordeon, eher schmucklos, ohne übertriebene Emphase und große Show - wenn man vom vergoldeten Zylinder absieht.
Zwei großartige Zugaben, mit "Wer Schmetterlinge lachen hört" von Novalis und Rio Reisers "Übers Meer": Da erreicht das Konzert die größte emotionale Dichte - auch wenn das Finale ein Stück weit von Berlin wegführt.
Jede Menge Beifall am Schluss. Und die schnelle Ankündigung hinterher: Am 21. März 2013 gibt\'s einen Wiederholungstermin. DiL

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort