Literatur Schussfahrt in den gefährlich ungewissen Untergrund

Schon das Personenverzeichnis im Klappentext spricht Bände. Auf dem knappen Platz einer drittel Buchseite begegnen dem Leser Gestalten, mit denen man als Normalbürger meist wenig zu tun hat – und wenig zu tun haben will.

 Jonathan Metzell, Er war nie weg

Jonathan Metzell, Er war nie weg

Foto: RotFuchs Verlag

In der Rubrik „handelnde Personen“ versammeln sich 21 überwiegend zwielichtige Gestalten, darunter ein SS-Sturmbannführer und sein Urenkel, ein rechtsradikaler Bundestags-Abgeordneter, mehrere Typen aus dem (fiktiven) Real-Nationalen Sozialismus, ein Ex-Stasi-Offizier, und der deutsche Verfassungsschutz ist mit zwei Personen gleichfalls dabei. Sie praktizieren eine Art Wühlarbeit im Untergrund.

Wobei „Untergrund“ zugleich psychologisch, politisch und geologisch verstanden wird. Und dann gibt es noch Max Mertens, Jahrgang 1935. Der will mit eigenen Augen gesehen haben, wie Hitler eingefroren wurde. Ein Irrtum, wie sich etliche Kapitel später herausstellt.

Am 20. April 2019 wird der Führer 130 Jahre alt. Ihm zu „Ehren“ wollen die Real-Nationalen Sozialisten das Berliner Holocaust-Denkmal hochgehen lassen. Sie haben schon reichlich Sprengstoff abgelegt in ein ausgedehntes und bislang nur Wenigen bekanntes Gangsystem direkt unter Berlins Mitte. Zugleich soll der Führer „auferweckt“ – also aufgetaut werden.

Ob das gelingen kann?

Bei der personellen Vielzahl in diesem Buch kann die Handlung zwangsläufig nicht so gradlinig sein wie in Erzählungen, die mit weniger Akteuren auskommen. Stattdessen glänzt „Er war nie weg“ mit einer außerordentlichen Fülle an Fakten, Begebenheiten, Aktionen und Reaktionen.

Der Autor Karl-Georg Schroll alias Jonathan Metzell hat in seinem dritten Roman einen dichten Handlungsablauf konstruiert. Und der wird, je weiter man im Buch vordringt, immer stärker zur Schussfahrt ins gefährlich Ungewisse. Immer eindeutiger dringt die Handlung vor zu einem Wahnsystem, an dem Personen durchaus unterschiedlicher Gesinnung mitarbeiten, und das sich erst spät aufklärt.

Eines steht dabei fest: Unter solch finsteren Umständen darf die Lichtgestalt nicht fehlen. Adele Büchner heißt sie und erarbeitet sich beharrlich und kompetent einen Zugang zum Untergrund. Sie ist es, die einen verschollenen Tagesbefehl von Goebbels findet und mit ihm den Spuk um den eingefrorenen Führer als Fake entlarvt. Auf ihre Aktivität ist auch zurückzuführen, dass die geplante Explosion zur Witzveranstaltung mutiert. „Er“, so der Buchtitel in Fraktur und in Rot „war nie weg“ – das hatten viele geglaubt. Aber Max Mertens kann am Ende erleichtert verkünden: „Nun ist er ja endgültig weg“.

Karl-Georg Schroll balanciert mit „Er war nie weg“ zwischen den literarischen Gattungen. Im Untertitel „Eine kriminelle Geschichte“ deutet sich das an. Diese „Geschichte“ ist ein Mix aus Krimi, zeithistorischer Erzählung, politischer Kolportage und psychologischem Beziehungsroman. Eingefahrene Handlungsabläufe spielen kaum eine Rolle. Umso reizvoller ist es, in den Untergrund einzusteigen, den dieses Buch beschreibt.

Martin Möller

Jonathan Metzell (Karl-Georg Schroll), Er war nie weg, Blattfuchs Verlag, 13,50 Euro

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