Erlösung in Tönen - Mosel Musikfestival eröffnet mit Beethovens "Missa solemnis"

Trier · Die Hürden waren hoch: mit Beethovens "Missa solemnis" ein überaus heikles Werk, die hallige Akustik der Trierer Konstantin-Basilika und dazu das Public Viewing vor der Basilika. Aber das Experiment glückte. Das Eröffnungskonzert im Mosel Musikfestival wurde ein grandioser Erfolg.

 Mehr als 1000 Zuhörer erleben das Eröffnungskonzert der Mosel Musikfestspiele via Leinwand auf dem Basilikavorplatz mit. Foto: Willy Speicher

Mehr als 1000 Zuhörer erleben das Eröffnungskonzert der Mosel Musikfestspiele via Leinwand auf dem Basilikavorplatz mit. Foto: Willy Speicher

Foto: willy speicher (wsp) ("TV-Upload speicher"

Trier. Ja, die "Missa solemnis"! Seit Adornos hellsichtig-kritischem Essay über das "Verfremdete Hauptwerk" hat sie den Rang des unbestrittenen Meisterwerks eingebüßt. Zu vieles an ihr bleibt rätselhaft distanziert, statisch, archaisch und oft weitab von dem Stil, den man für den Beethovens hält. Der Musik Schlüssigkeit mitzugeben, ihre Fremdheit aufzulösen, sie so nahe an die Hörer zu bringen, wie es der taube Komponist mit seiner Formel "Von Herzen, möge es wieder zu Herzen gehen" zur Sprache brachte - an dieser Aufgabe scheitern auch angesehene Interpreten.Mosel Musikfestival


Und dann nach 30 Jahren Mosel Musikfestival dieses Konzert: Da stellt sich der Bach-Chor Mainz unter den Schalldeckel der Trierer Konstantin-Basilika, da spielt die wunderbar anpassungsfähige Deutsche Radio-Philharmonie die 20 Einleitungstakte liebevoll aus. Die ersten "Kyrie"-Chorakkorde kommen mit einer Deutlichkeit, Präsenz und Statur, die beeindrucken. Der Klang der rund 60 Sänger geht mühelos über das mittelgroß besetzte Orchester hinweg und bleibt auch in den mörderisch hohen Forte-Partien frei von Forcierung. Dirigent Ralf Otto bettet Chor und Solisten sensibel ein in einen herrlich flexiblen Orchesterklang.
Das Orchester ist nicht nur Begleitung und Verstärkung, sondern mehr: eine eigenständige Gruppe, die Eigenes zu sagen hat. Otto setzt Beethovens Lautstärke-Angaben penibel um. Er gibt dem Forte eine Spur Leichtigkeit mit, nimmt dem "Kyrie" die gefährlich naheliegende, unpersönliche Statik, gibt Gloria und Credo Prägnanz ohne Forcierung, vertieft im "Benedictus" den innigen Tonfall der Musik, lässt das "Dona nobis pacem" sacht und leichthändig ausklingen. Und vor allem: Er gibt den zahlreichen Übergängen zwischen Chor, Orchester und Solisten Spannung und Balance mit.
Es war eine Aufführung, die alles Unebene dieser großen Messe vergessen machte. Die Problematik des Werks löst sich einfach auf, wenn sich Interpreten so auf die Musik einlassen - wenn sie die Nähe zu ihr suchen, mithören, mitgestalten, mitempfinden. Und auch die Unschärfen, die im Riesenraum der Konstantin-Basilika fast zwangsläufig entstehen, sie nehmen dieser Aufführung nur wenig von ihrer starken Bildkraft, ihrer jubelnden Prägnanz, ihrer religiösen Versenkung. Die stellt sich im "Benedictus" ein, obwohl es schwierig wird, die gradlinig-sensible Solo-Geigerin Margarete Adorf und die von ihr weit entfernten Holzbläser zu integrieren. Die vier Solisten freilich mussten kämpfen, um sich in der "Pleni sunt coeli"-Fuge gegen das Orchester zu behaupten und zueinander Anschluss zu finden.
Und doch: die Solisten! Sie beziehen zu allen eingeschliffenen Unarten entschieden Distanz. Nichts bleibt von dem unsensibel forcierten, selbstdarstellerischen und ensemblefeindlichen Beethoven-Gesang vergangener Jahrzehnte. Der Basilika-Akustik zum Trotz formieren sie sich zu einer erstaunlich sicheren und fast immer intonationsreinen Einheit. Da mag die Schulung an Alter Musik und an Bach mitspielen - sie beherrschen das Miteinander, gehen in Stimmklang und Ausdruck aufeinander ein. Bass Yorck Felix Speer und Tenor Dominik Wortik verbinden lyrische Wärme und oratorische Kraft. Altistin Marion Ecksteins lässt im dicht gesungenen "Agnus Dei"-Rezitativ die "Militär-Episode" zuvor beklemmend nachklingen. Und über allem schwebt Susanne Bernhards warm-leuchtender Sopran - eine Erlösung in Tönen.
Ein bewegendes, ein wunderbares Konzert. Und zudem Teil einer bemerkenswerten Doppelveranstaltung. Während drinnen nach den Festreden die Messe vor 800 Besuchern im traditionellen Rahmen ablief, versammelten sich vor der Basilika an die 1000 Musikfreunde zur öffentlichen Direktübertragung. Die wurde ab 22 Uhr wiederholt. Selbstverständlich war die Stimmung draußen weniger förmlich als im Raum, und selbstverständlich waren manche nur mit halbem Ohr bei der Musik, wenn Freunde zum Plausch erschienen. Aber sogar eine halbe Stunde vor Mitternacht saßen sie noch auf den Stufen zum Basilika-Vorplatz, schauten und hörten hin - hoch interessiert, ja gebannt. Das Experiment ist geglückt.

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