Erst am Schluss fielen die Treffer

TRIER. Nach dem tragischen "André Chenier" und vor dem anspruchsvollen "Wozzeck" gönnt das Theater dem Opern-Publikum eine Auszeit. Lortzings "Zar und Zimmermann" ist in dieser Version gänzlich unstrapaziös.

 Selten richtig komisch, aber auf eine nett-harmlose Weise heiter: Dem Premieren-Publikum gefiel "Zar und Zimmermann" im Theater Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Selten richtig komisch, aber auf eine nett-harmlose Weise heiter: Dem Premieren-Publikum gefiel "Zar und Zimmermann" im Theater Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Was hat eine Theaterpremiere am Samstagabend mit dem Bundesliga-Spieltag am gleichen Nachmittag zu tun? Manchmal mehr, als man denkt. Vorgestern war bei den Fußballern nach zwei Dritteln der Spielzeit kein einziger nennenswerter Treffer gefallen. Zu sehen gab es bis zu diesem Zeitpunkt ein ziemliches Gegurke. Trotzdem konnten sich nach verbesserter Schlussphase die Ergebnisse unterm Strich sehen lassen. Im Theater war es so ähnlich.Vor der Pause hausbacken und betulich

Man muss "Zar und Zimmermann" nicht neu erfinden. Aber man muss die Verwechslungsgeschichte um einen echten und einen falschen Zaren auch nicht so hausbacken und betulich über die Rampe bringen wie vor der Pause in Trier. Selbst die Ironie, so es denn eine solche sein sollte, wirkt leicht angeplüscht. Und da klemmt auch bei der Umsetzung einiges. Der Chor versemmelt gleich den ersten Einsatz, dann taucht ein Solist zur falschen Zeit an der falschen Stelle auf und muss den ungeordneten Rückzug antreten. Und die Tempi zwischen Bühne und Orchestergraben weichen bei den Ensembleszenen zu oft und zu gravierend voneinander ab, als dass man darüber den Mantel des Schweigens breiten könnte. Aber da sind auch Lichtblicke. Eine kompakte, konzentrierte, schnörkellose Orchesterleistung unter Dirigent Christoph Jung beispielsweise. Da schleift und leiert nichts. Oder das hübsche Bühnenbild von Michael Goden, sicher auch ein bisschen klischeehaft, aber mit tollen Accessoires und stimmungsvollen, schönen Licht-Überblendungen bei den Szenenwechseln. Dass Regisseur Wolf Widder die Sprech-Dialoge durch einen "Kommentator" ersetzt hat, ist gewöhnungsbedürftig, aber funktioniert unterm Strich gut. Schauspieler Dieter Oberholz spielt das mit glänzendem Understatement, und wenn er am Ende augenzwinkernd an den Irrungen und Wirrungen des Stücks verzweifelt, dann ist das genau die ironische Distanz, die man sonst vermisst. Noch ein Pluspunkt: Der bemerkenswert souveräne, als Dreh- und Angelpunkt fungierende Thomas Schobert in der Rolle des aufgeblasenen Bürgermeisters van Bett. Dass man einem jungen Sänger in seiner allerersten Profi-Spielzeit eine solche Parade-Rolle anvertraut, ist alles andere als selbstverständlich. Schobert rechtfertigt das Vertrauen in jeder Hinsicht. Da fehlt stimmlich im Laufe der anstrengenden Partie noch ein bisschen Volumen, aber sonst wird Trier mit diesem großen Talent noch viel Spaß haben. Schobert ist auch derjenige, der den Startschuss zur furiosen Aufholjagd in der Schlussphase gibt. Wie er sein Begrüßungsständchen für den vermeintlichen Zaren mit den Bürgern einstudiert, ist gleichermaßen ein Glanzstück für den Solisten wie für den Chor.Plötzlich wird es köstlich-schräg

Da ist plötzlich Bewegung drin, da wird es köstlich-schräg, wenn die Chor-Herren den Holzschuh-Tanz in "Stomp"-Manier rhythmisch auf ihren Werkzeugen intonieren und die Tänzer unabgedroschene Wege suchen. Ideen, Tempo, Brüche: Auf einmal ist alles da. Wolf Widders Stärken liegen im Fein-Tuning. Das merkt man an den kleinen, teils recht lustigen Charakterstudien in den Nebenrollen, mit denen Eric Rieger, Juri Zinovenko, Peter Koppelmann, Laszlo Lukacs, Eva-Maria Günschmann und Thomas Grünholz überzeugen. Andreas Scheel als wahrer Zar und Annette Johansson als verliebtes Mädchen Marie wirken nicht ganz so, als hätten sie uneingeschränkte Freude an ihren holzschnittartigen Hauptrollen. Johansson singt freilich, wie stets, ohne Fehl und Tadel. Scheel quält sich etwas durch die Koloratur-Arie im ersten Akt, gestaltet aber gegen Ende sein berühmtes Lamento mit dem Refrain "Wie selig, ein Kind noch zu sein" berührend. So richtig komisch ist diese komische Oper selten. Stattdessen auf eine nett-harmlose Weise heiter. Genau das trifft den Geschmack des Publikums. Ausgiebiger, freundlicher Beifall am Schluss. Ein Argument, das man schwerlich widerlegen kann.

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