Erzählte Zeitgeschichte

Trier · Die Provokation ist verblasst. Aber Walter Schenkers "Solothurner Geschichten" von 1969 haben stattdessen eine historische Dimension gewonnen. Sie spiegeln die Provinzialität der 1960er Jahre. Und die beschränkte sich nicht auf die Schweiz.

Trier. Bücher haben ihre Schicksale. Walter Schenkers literarischer Erstling, die "Solothurner Geschichten" mit ihrem aphoristisch-ironischen Motto "leider", war im Publikationsjahr zweifellos eine Provokation. Manche im schweizerischen Städtchen Solothurn sollen die konservativ-provinzielle Vokabel von der "Nestbeschmutzung" bemüht haben, und der Autor erhob in einem Gespräch, das die Lokalzeitung veröffentlichte, die Provokation zum literarischen Prinzip.
Mittlerweile und unter den veränderten gesellschaftlichen Umständen, haben sich die Attacken aufs gutbürgerliche Schweizertum abgenutzt. Aber mit der Wiederveröffentlichung bezieht der Autor, damals junger Wissenschaftler, mittlerweile aus dem Amt entlassener Trierer Professor auf Zeit und Diakon, jetzt in einer ganz anderen Diskussion Stellung.
Verklemmte Stimmung


In sieben Geschichten zeichnet Schenker die verklemmt-schönfärberische Stimmung der 1960er Jahre nach - mit ihren versteckten und gelegentlich offenen Aggressionen gegen Andersartige, der mühsam kaschierten Unterdrückung und Ausbeutung Schwächerer und auch dem zweifelhaften Hochgefühl der Abiturienten- und künftigen Akademiker-Generation.
Die "Solothurner Geschichten" sind ein Porträt jener Provinzialität, gegen die damals die Studenten aufbegehrten. Und die beschränkte sich nicht auf die Schweiz, sondern war in einem Umfang globalisiert, der an die Wirtschaftssysteme der Gegenwart erinnert. Indirekt liefern die "Solothurner Geschichten" damit anschauliche Beispiele zum Hintergrund der 68er Rebellion. Sie sind ein Stück erzählter Zeitgeschichte. mö

Walter Schenker, "leider. Solothurner Geschichten" 2012, Books on Demand, 188 Seiten, 22,90 Euro.

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