Kultur Ein Stück Heimat im Autokino

Simmern · In Simmern sind die Heimat Europa Filmfestspiele vor ausverkauftem Haus gestartet.

 Leinwand, Autos, Stühle, Bühne: So präsentieren sich die Heimat Europa Filmfestpiele auf dem Platz neben dem Simmerner Rathaus.

Leinwand, Autos, Stühle, Bühne: So präsentieren sich die Heimat Europa Filmfestpiele auf dem Platz neben dem Simmerner Rathaus.

Foto: Christoph Strouvelle

Ein Film, der als Science-Fiction gedacht war, jetzt  aber durch die Corona-Pandemie aktueller ist denn je: Mit „Live“, einem 90 Minuten langen Film, der das Leben von Menschen in den Mittelpunkt rückt, die sich aufgrund von Terrorgefahren maximal in kleinen Gruppen treffen dürfen, sind am Sonntag die Heimat Europa Filmfestspiele in Simmern gestartet. Bedrückend die Atmosphäre der Bilder, die in dunklen Farben gehalten und mit bedrohlicher Musik unterlegt sind und so unweigerlich an Szenen aus Orwells 1984 erinnern: Ein Geschwisterpaar, beide Musiker, sucht Wege, trotz der auferlegten Beschränkungen ein Konzert zu geben. Unterstützt werden sie von befreundeten Hackern, die ihre digitalen Spuren löschen. Die fehlende Nähe zu Menschen, die fehlende Gemeinschaft überfordert die Geschwister und ihre Umgebung und führt zur Verunsicherung aller Akteure – bis es schließlich zur Katastrophe kommt.

„Live“ von Regisseurin Lisa Charlotte Friedrich sorgt für einen gelungenen Auftakt der Heimat Europa Filmfestspiele auf dem Platz neben dem Simmerner Rathaus, wo alle Filme des Festivals gezeigt werden. „Live“ ist einer von acht Filmen, die um den „Edgar“ konkurrieren, einen Filmpreis, benannt nach dem aus Morbach stammenden Filmregisseur Edgar Reitz, mit dem einer von acht vorgeschlagenen Filmen ausgezeichnet wird.

„Es sind tiefgründige Filme, die sich mit Themen befassen, die uns alle angehen und die künstlerisch gestaltet sind“, sagt Festspielleiter Urs Spörri. Diese Filme finde man nur selten im Fernsehen oder im Kino. Wichtig ist ihm vor allem, dass der Begriff Heimat, der ja auch im Namen der Festspiele auftaucht und den der Morbacher Regisseur Edgar Reitz mit seiner Filmreihe populär gemacht hat, nicht von politischen Strömungen vereinnahmt wird. „Heimat ist was Positives und soll künstlerisch aufgeladen werden“, sagt er.

Ursprünglich war vorgesehen, die Filmfestspiele über zahlreiche Orte wie Kinos, Ortszentren und in Wäldern im Hunsrück und an der Mosel zu verteilen. Doch ist dies aufgrund der Corona-Pandemie und den damit erfolgten Einschränkungen nicht mehr möglich gewesen. „Ich hätte nicht geglaubt, dass wir das schaffen“, sagt Festspielleiter Urs Spörri zu der notwendigen Umorganisation der vielen kleinen Veranstaltungen zu einem Autokino mit aufblasbarer Leinwand in einer Größe von 16 mal acht Metern. Bis zum 6. September werden insgesamt 39 deutsche und internationale Produktionen zu sehen sein. Dazu spielen in den Vorprogrammen 21 Musikgruppen in Stilrichtungen, die zu den Filmen im Anschluss passen.

Zu den vielen erforderlichen Details, die ein solches Event mit sich bringt, gehört beispielsweise auch die Reservierung einer UKW-Frequenz, um den Empfang des Filmtons über die Autoradios sicherzustellen.

Zwar standen den Besuchern der Premiere auch Stühle vor der Bühne zur Verfügung, was von den Besuchern während des Vorprogramms mit zahlreichen Interviews, Reden und Musik der aus Bayern stammenden Musikgruppe The Heimatdamisch genutzt wurde. Aber die Technik ließ die Übertragung des Filmtons auf die Außenlautsprecher an der Premiere, die mit 350 Besuchern ausverkauft war, noch nicht zu. Trotzdem ist es laut Spörri „ein Auftakt nach Maß“. Der Simmerner Stadtbürgermeister Dr. Andreas Nikolay sagt, seine Stadt als Veranstalter der Filmfestspiele wolle zur „Heimat der Heimat“ werden in Kooperation mit umliegenden Kommunen wie Morbach, Kirchberg und Zell.  Wolfgang Stemann vom ausrichtenden Pro-Winzkino in Simmern betont die Zusammenarbeit zwischen Kino und Stadt („einzigartig in Deutschland“) und hebt die Bedeutung der Kultur für die Menschen hervor. „Kulturangebote sind keine Softskills sondern wichtig für das Gemeinwesen“, sagt er. „Unterstützen Sie kulturelles Engagement, es ist vorhanden und braucht einen Rahmen“, sagt er. Der inzwischen 87 Jahre alte Edgar Reitz, Schöpfer der Filmreihe „Heimat“, ist für die Premiere der Filmfestspiele extra aus München angereist und hebt in seiner Ansprache die Rolle des Kinos für die Menschen hervor. Gemeinsam einen Film zu sehen und zu lachen sei mitnehmender als alleine, sagt er und erzählt von einem „Typen“, den er beim Ansehen eines Films auf dem Handy beobachtete, als dieser laut losgelacht habe. „Das ist irre“, beschreibt Reitz, wie diese Beobachtung auf ihn gewirkt hat. Gemeinschaft liege in der Natur der Menschen. „Schön, dass ihr an der Kraft des Kinos festhaltet.“

 Details zum Programm der Heimat Europa Filmfestspiele und die Möglichkeit, Karten zu bestellen, gibt es im Internet unter www.heimat-europa.com. Laut Festspielleiter Urs Spörri sind zu zahlreichen Filmen noch Karten erhältlich.

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