Explizites, Extremes, Exkremente

Trier · Werner Schwabs Erstling "Die Präsidentinnen" ist eine gruselige Komödie mit drei alten Frauen. In Trier greift Regisseurin Anne Sokolowski auf sehr junge Schauspielerinnen zurück. Dabei bleiben einige Fragen offen.

Explizites, Extremes, Exkremente
Foto: (g_kultur

Trier Es gibt Stücke, die für manche Theater unspielbar sind. Dabei handelt es sich zumeist um ein systemisches Problem. Beim Theater Trier liegt das Problem darin, dass im Ensemble keine alten oder älteren Schauspielerinnen vorhanden sind, die Werner Schwabs schwarze Alte-Frauen-Farce "Die Präsidentinnen" verkörpern können. Regisseurin Anne Sokolowski macht daher aus der Not eine Jugend und besetzt die drei geriatrischen Weibsbilder mit Schauspielerinnen, die näher an Julia als an Lady Macbeth, näher an Kleists Käthchen als an Dürrenmatts Claire Zachanassian sind. Um den Generation-Gap zu überbrücken, muss die Maske ganze Arbeit leisten, müssen silberlockige Perücken her, Gehstöcke und Gesundheitsschuhe. Das wirkt im ersten Moment so, als habe sich das Hamburger Ohnsorg-Theater auf die Trierer Studiobühne verirrt.
Wäre das der Grundton geblieben, hätte man sich auf einen ziemlich albernen Abend einrichten können. Natürlich ist die Regisseurin zu clever, um die Komödie zu einer knapp zweistündigen Ulknummer auszuwalzen - einmal ganz davon abgesehen, dass sie damit Werner Schwab, dem seelenzerfressenen Autor menschlicher Höllenritte, ziemlich in den Rücken gefallen wäre. Andererseits lässt auch ihr Regiekonzept manche Fragen unbeantwortet: Warum etwa spricht Nadia Migdal als Grete manchmal so, als habe sie ihr Gebiss in der Garderobe vergessen, dann wieder mit vollem Zahnbesatz im Mund - und kurz darauf wieder ohne Biss? Warum ziehen sich Erna (Gitte Reppin) und Mariedl (Julia Sewing) nach wenigen Minuten die Perücken vom Kopf, verwandeln sich in die jungen Frauen, die sie sind, und haben ab sofort nichts mehr mit den vom Leben ziemlich mies behandelten Unterschichtsweibern gemein, die der Autor meinte? Stattdessen agieren sie in schwarzen durchsichtigen Ganzkörperbodies wie Tänzerinnen einer Fernsehballett-Choreographie und träumen von feschen Männern, die für Schwabs Ur-Präsidentinnen Wunschbilder bleiben müssen, für das Trierer Trio aber durchaus im Bereich des Erreichbaren liegen.
Die drei Frauen jammern, keifen, hetzen und beweinen ihr verkorkstes Leben, als hätten sie es schon hinter sich. Das jedoch tun sie auf einem höchst vergnüglichen Niveau. In einer verranzten Kellerwohnung (Bühne: Loriana Casagrande) bemühen sie sich um die Aufrechterhaltung einer brüchigen Gutbürgerlichkeit, die sie mit ihren eigenen Aussagen Lügen strafen: Gitte Reppin gibt, mal hoheitsvoll-arrogant, mal in Selbstmitleid zerfließend, die mit einem zeugungsunfreudigen Sohn geschlagene Mutter (Hermann heißt er, und sein Name steht an einer niedrigen Tür, die in einen Verschlag führt, in dem in Horrorfilmen in der Regel die Monster untergebracht sind).
Nadia Migdals Grete ist ebenso bedauernswert wie komisch, eine ramponierte Frau, deren gottlob verflossener Mann die "eigene Tochter im Bett bestraft" - ein geradezu genialer Euphemismus für Missbrauch - und der als Objekt für ihre enttäuschte Menschenliebe nur ihr Hund bleibt. Julia Sewing als Dritte im Bunde - als Gast in Trier und überwiegend an Schweizer Theatern aktiv - spielt das religiös verkorkste und naive Mariedl als empathische Jungfrau von Orléans der verstopften Klos, die sie ohne Handschuhe von ihrem blockierenden Inhalt befreit. Was dieses Thema angeht, hätte ein Rotstift wahren Segen anrichten können, denn die unappetitliche Tätigkeit wird leider ein bisschen zu ausführlich und zu oft geschildert. Dennoch (oder deswegen?): Lauter und langanhaltender Applaus für die drei jungen Alten, die ausgesprochen souverän selbst aus Exkrementen Funken der Komik und des Humors zu schlagen wissen - und kräftiger Jubel fürs Regieteam.Extra: ZUR PERSON:

 Weil es am Trierer Theater an älteren Schauspielerinnen mangelt, macht Resgisseurin Anna Sokolowski aus der Not eine Jugend. Fotos: ArtEO Photography

Weil es am Trierer Theater an älteren Schauspielerinnen mangelt, macht Resgisseurin Anna Sokolowski aus der Not eine Jugend. Fotos: ArtEO Photography

Foto: (g_kultur


Anne Sokolowski, 1992 in Trier geboren, studierte Theaterwissenschaft und Germanistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Bereits während ihres Studiums arbeitete sie in der Ballettdirektion des Mainzer Staatstheaters und hospitierte in Schauspielproduktionen an den Staatstheatern Mainz und Wiesbaden. Seit Oktober 2015 ist sie Regieassistentin am Theater Trier.

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