Extremsportler Reinhold Messner erzählt in Trier über sein Leben und Überleben

Trier · Bergbesteigung, Basislager. Bei 40 Grad minus in aller Herrgottsfrühe aus dem Zelt kriechen und sich nicht mal die Zähne putzen können. Das klingt nach knallharter Anstrengung, nach großem Abenteuer, nach Reinhold Messner. Der Bergsteiger erzählt am 18. Januar, in der Europahalle Trier davon, wie man nicht umkommt.

 Am Annapurna in Nepal, 1985. Ein Leben in und mit den Extremen. Reinhold Messner (Foto unten) berichtet jedoch nicht nur über Abenteuer, sondern auch von dem, was er über das Leben selbst gelernt hat. Foto: W. Gebauer

Am Annapurna in Nepal, 1985. Ein Leben in und mit den Extremen. Reinhold Messner (Foto unten) berichtet jedoch nicht nur über Abenteuer, sondern auch von dem, was er über das Leben selbst gelernt hat. Foto: W. Gebauer

Foto: (g_kultur

Er ist mittlerweile 72 Jahre alt und mag morgens nicht mehr aus einem Zelt kriechen, sondern aufrecht das Bad verlassen. Aber wenn der Berg ruft, dann kommt er noch gerne, um ihn zu bezwingen.

Bergsteiger Reinhold Messner ist für viele der Inbegriff eines modernen Abenteurers: fit, wagemutig, medienwirksam. In seinem Vortrag "ÜberLeben", der auf seinem gleichnamigen Buch basiert, erzählt Messner am 18. Januar in der Europahalle Trier etwas über sein Leben, sein Überleben und über das Leben selbst. Das Interview führte TV-Redaktionsmitglied Stefanie Braun.

TV: Ihr Vortrag heißt "ÜberLeben", was man natürlich zweideutig verstehen kann - Sehen Sie ein risikoreicheres Leben wie Ihres als ein "lebenswerteres"?
Reinhold Messner: Nein. Ich würde für mein Leben das Wort "risikoreicher" auch gar nicht benutzen. Ich konnte eine bestimmte Form des Erfahrungen-Machens leben. In meinem Vortrag versuche ich nun, all das, was ich über das Leben selbst erfahren habe, zu erzählen. Die Welt, in die ich gehe, wenn ich Abenteuer erleben will, ist archaisch. Dort draußen gibt es keine Straße und kein Telefon und auch keinen Gesetzgeber. Wir leben nach der Menschennatur, wir tragen die ganze Verantwortung, und wenn wir einen groben Fehler machen, ist das ein Todesurteil.

Sie erzählen also nicht übers Überleben, sondern etwas übers Leben und die menschliche Natur?
Messner: Der Titel des Vortrages ist auch der Titel meines Buches. Das erste Kapitel darin heißt "Üb Erleben": In meiner Kindheit habe ich das Überleben, aber vor allem auch das Erleben geübt. Dann in der Mitte meines Lebens, in diesen vielen schwierigen und extremen Situationen, habe ich überlebt. Das zweite Kapitel heißt deswegen "Überleben". Und das dritte und letzte Kapitel heißt "Über Leben". Ich glaube, etwas über das Leben zu wissen, was einem normalen Bürger nicht zugänglich sein kann. Als Stellvertreter für all jene, die das nicht machen konnten, weil sie etwas Vernünftiges und Nützliches getan haben, im Gegensatz zu mir, dem Eroberer des Nutzlosen, trete ich auf und erzähle den anderen, was sie hätten erleben können.

Es gibt Filme, Videospiele und Bücher, die von einem abenteuerlicheren Leben erzählen. Diese werden konsumiert wie geschnitten Brot - gleichzeitig traut sich niemand mehr ohne Navi in eine fremde Stadt. Sind wir Menschen Sesselhelden geworden?
Messner: Also ich persönlich möchte gar kein Held sein, aber es stimmt: Die Menschen dürsten nach Sicherheit. Wir tun seit 10 000 Jahren nichts anderes als Sicherheit zu schaffen. Inzwischen ist diese Sicherheit aber als brüchig erkannt. Das spüren die Leute. Nun geht jemand wie ich aus eigenen Stücken aus dieser pseudosicheren Welt hinaus in die größten Gefahrenräume, die es gibt. Also dorthin, wo der Mensch vor vielen tausend Jahren gelebt hat. Dort hat der damals gelernt, mit diesen vielen Probleme und Gefahren zurecht zu kommen. Wir lernen in dieser unwirtlichen, gefährlichen Welt, was den Menschen ausmacht. Das sind ganz andere Erfahrungen als in der Stadt. Ich glaube, dass diese Vorträge, Bücher und Geschichten gerade gefragt sind, weil die Stadtkultur plötzlich eine unterbewusste Unsicherheit hinterlässt. In Wirklichkeit leben wir immer noch in der sichersten Zeit aller Zeiten. Gleichzeitig dürstet der Mensch nach etwas, was er nicht haben kann und was er sich selbst auch nicht traut zu machen. Die Menschen, die rausgehen in die Natur, wollen ja auch nicht das Abenteuer, sondern eine abgesicherte Situation. Die meisten Menschen gehen erst in den Berg, nachdem er von Einheimischen sicher präpariert worden ist. Sie hätten schon gerne das Abenteuer, aber sie tun‘s nicht. Sie betrügen sich im Grunde selber.

Sie als "Abenteurer der Nation", auf welche modernen Annehmlichkeiten möchten Sie nicht mehr verzichten?
Messner: Inzwischen bin ich ja ein älterer Herr, der morgens lieber aufrecht aus dem Badezimmer kommt, als aus einem Zelt zu kriechen, ohne sich die Zähne putzen zu können. So war das Leben über viele Jahre, im Basislager oder in der Antarktis. Sie können nicht bei 40 Grad minus in der Früh Wasser schmelzen, um sich die Zähne zu putzen. Das geht einfach nicht. Es ist das Spiel der Leiden, das wir als Abenteuer ansehen. Wenn Ihnen die Luft mit 40 Grad minus in die Lunge fährt und sie auch noch hyperventilieren müssen, weil sie keinen Sauerstoff kriegen, dann ist das wirklich nicht angenehm. Das ist ein zwischen-Leben-und-Tod-Dahinsiechen.

Wie würden Sie lieber sterben wollen - auf dem Berg bei einem Abenteuer oder im Sterbebett?
Messner: Meine Kunst war eben, nicht umzukommen dort, wo man eigentlich umkommen könnte. Ich gehe zeitweise aus der Zivilisation heraus, in der Zivilisation bin ich ein ganz normaler Bürger, der die Regeln einhält. Und wenn ich draußen bin, bin ich in einem gefährlichen Raum und lebe nach anarchischen Mustern. Ich nehme meine Zuschauer mit in diese andere Welt, die nicht nur schwierig ist, weil ich einen Überhang klettere oder ein Zelt im Sturm aufbaue. Viel wichtiger ist, dass ich in einer Welt bin, wie sie vor 10 000 Jahren war. Da erkennen wir die Menschennatur besser als dort, wo der Mensch inzwischen in einer sterilen Pseudowelt lebt. Das ist nicht die wahre Welt, sondern eine vom Menschen gemachte. Wir brauchen diese heute, weil sonst sieben Milliarden Menschen nicht leben könnten. Aber je mehr Sicherheit man will, desto mehr Freiraum muss man abgeben. Wenn ich in die Wildnis gehe, wo es keine Sicherheiten gibt, habe ich die größtmögliche Freiheit, aber auch die größtmögliche Verantwortung.

Reinhold Messner, "ÜberLeben", 18. Januar, Europahalle Trier. Infos: www.messner-live.de Karten gibt es im TV-Service-Center Trier, unter der TV-Tickethotline 0651/7199-996 sowie unter www.volksfreund.de/ticketsExtra

Extremsportler Reinhold Messner erzählt in Trier über sein Leben und Überleben
Foto: (g_kultur

Reinhold Messner wurde 1944 in Südtirol geboren. Sein Bruder Günther, der ebenfalls Bergsteiger war, starb 1970 bei einer gemeinsamen Expedition in den Nanga Parbat in Pakistan, erst im Jahr 2000 wurden dessen Gebeine gefunden und bestattet. Reinhold Messner hat das Bergsteigen in den 1970er und -80er Jahren entscheidend geprägt, auch was die Medienpräsenz und Selbstvermarktung anbelangt. Der Extrembergsteiger ist zudem Autor und ehemaliger Politiker (Verdi Grüne Vërc).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort