Kunstfreiheit „Eine Zensur hat nicht stattgefunden“
Trier · Was darf Kunst? Wo überschreitet sie Grenzen, die nicht tolerabel sind? In der Diskussion um die umstrittenen Auftritte zweier Künstler in Trier sind die Fronten weiter verhärtet. Warum eine städtische Veranstaltung zum Thema keine Annäherung brachte.
Einen Tag nach dem Auftritt des Musikers Jens Fischer Rodrian beim „Festival für Frieden, Freiheit und Freude“ in Trier hat die Stadt in einer Info-Veranstaltung ihre kritische Haltung zur Diskussion gestellt. Sie hatte sich (wie berichtet) in einer Erklärung von den Künstlern Fischer Rodrian und Uli Masuth wegen deren politischen Positionen (Nähe zu Querdenker-Szene) distanziert und die Veranstalterin Joya Ghosh und das Mudhra Kollektiv gebeten, diese vom Festival auszuladen, was diese aber ablehnten. In einem öffentlichen Forum am Freitag sollte es nun in Vortrag und Diskussion darum gehen, „wie kulturelle Arbeit für extremes Gedankengut missbraucht werden kann“.
Was Kunst von Propaganda unterscheidet
Vor rund zwei Dutzend Interessierten referierten Luisa Gärtner und Lennard Schmidt von der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung (IAA) der Uni Trier darüber, wie die Neue Rechte kulturell agiert und „wie sich eine neue rechte Ideologie in der Kunst etablieren kann“. Wesentliches Merkmal von Kunst sei nach Darstellung der Referenten, dass diese „ambivalent“ oder „deutungsoffen“ sei, womit sie sich unterscheide von Propaganda, die lediglich eindimensional einen Zweck verfolge, wo also Kunst „nur Vorwand“ sei. Zahlreiche Beispiele illustrierten das Wirken von „Rassisten im Schafspelz“ sowie den Kulturkampf der „Identitären Bewegung“, die eine kulturelle Reinhaltung der Völker propagiere. Die Neue Rechte wolle Bestehendes überschreiben, wie etwa bei der Verhüllung der Karl-Marx-Statue in Trier geschehen, wo dem Denkmal eine Clownsperücke aufgesetzt wurde.
Kulturdezernent: Wir hätten die Auftritte auch verbieten können
„Ordnet die Stadt Trier die beiden kritisierten Veranstaltungen als neue rechte Kunst ein?“, war denn auch gleich nach dem langen Vortrag die Frage aus dem Publikum. „Nein“, versicherte Kulturdezernent Markus Nöhl. Der Vortrag habe das Verhältnis von Politik und Kultur beleuchten sollen, ohne konkreten Bezug zu den beiden Künstlern, um deren Ausladung die Stadt gebeten hatte. Die Distanzierung von diesen, erläuterte Nöhl weiter, sei eine Entscheidung der Verwaltung gewesen, nicht des Rates. „Es hat keine Zensur stattgefunden“, betonte der Kulturdezernent. Die Stadt hätte über das Hausrecht durchaus die Möglichkeit gehabt, den Auftritt der Künstler zu verbieten. Man habe darauf aber im Sinne der Kunstfreiheit verzichtet und der Veranstalterin auch die volle Fördersumme fürs Festival ausbezahlt, lediglich verbunden mit der Auflage, das Geld nicht für die beiden kritisierten Veranstaltungen zu verwenden.
Wer darf künftig noch in städtischen Räumen auftreten?
Und wer bestimmt künftig, welche Künstler auftreten dürfen, wenn die Stadt, wie angekündigt, ihre Leitlinien für die Raumnutzung geändert hat? „Ist das der Anfang einer städtischen Zensur?“, wollte ein Zuhörer wissen. Nöhl antwortete, dass lediglich der Wertekonsens der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in die Nutzungsbestimmungen eingefügt werden soll. Was eine Besucherin lobte: „Ein großer Teil der Bürger steht hinter der Stadt“ und wolle „solchen Leuten“ keine Bühne bieten.
Beide Seiten sehen Verharmlosung der NS-Diktatur
Auch der ehemalige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Frieden, Markus Pflüger, zeigte Verständnis für die Position der Stadt: „Aussagen von Jens Fischer Rodrian zur sogenannten ,Coronadiktatur‘ sind eines von mehreren Beispielen, die rote Linien überschreiten und keine sinnvolle Diskussionsgrundlage sind.“ Fischer Rodrian hatte während der Corona-Pandemie als Impfgegner vor totalitären Strukturen und der Gefahr einer „Impfdiktatur“ gewarnt. Diese Sichtweise verharmlose die NS-Diktatur und damit implizit auch den Holocaust, sagte Pflüger.
Einen weiteren Bogen zum Holocaust schlug auch Referent Lennard Schmidt. Jede internationale Verschwörung (wie sie von Corona-Impfgegnern teilweise propagiert wurde) werde mit Juden verknüpft und somit antisemitisch verstanden. „Das ist an den Haaren herbeigezogen“, konterte ein Zuhörer aus dem Publikum und ordnete diese Gedanken selbst als NS-verharmlosend ein.
Festivalleiterin steht trotz Drucks zu ihrer Entscheidung
Unterdessen ist Joya Ghosh als Leiterin des noch bis Mitte Dezember laufenden Friedensfestivals zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. Als ehrenamtliche Vorsitzende des Landesverbands der freien professionellen Theater liege nun ein Abwahlgesuch gegen sie vor, sagte sie dem Volksfreund – wegen ihres „Demokratieverständnisses“. Dennoch steht Joya Ghosh nach wie vor zu der Entscheidung, Jens Fischer Rodrian und Uli Masuth nicht auszuladen: „Ich würde sie jederzeit wieder so treffen.“