Flächendeckender Personalwechsel am Theater Trier - Warum der künftige Intendant Tabula rasa macht

Trier · Das Trierer Theaterpublikum wird sich an viele neue Gesichter gewöhnen müssen: Der künftige Intendant tauscht nahezu das komplette Künstlerteam aus. Nach einem zweitägigen Anhörungsmarathon in dieser Woche ist die Stimmung im Haus gedrückt.

40 Gespräche in zwei Tagen, 40-mal eine überaus unerfreuliche Auskunft: Der Vertrag wird nicht verlängert. Keine vergnügungspflichtige Veranstaltung, weder für den designierten Chef Karl Sibelius noch für die Betroffenen, die sich nun wohl einen neuen Job suchen müssen.

Meist geht es trotz aller Brisanz nüchtern zu, es handelt sich um einen formalen arbeitsrechtlichen Akt. Wahrscheinlich will schon deshalb keiner öffentlich darüber reden. "Rausschmiss im Akkord", schimpft ein Ensemble-Mitglied. Andere äußern sich erstaunlich verständnisvoll, zitiert werden will niemand.

Sibelius macht Tabula rasa wie noch keiner seiner Vorgänger. Als Heinz Lukas-Kindermann 1994 kam, übernahm er das komplette Ensemble. Er wolle, sagte er seinerzeit, jedem eine Chance geben, zumindest in seinem ersten Intendantenjahr. Am Ende blieben fast alle. "Ich habe es nie bereut", sagt Kindermann rückblickend. Sein Nachfolger Gerhard Weber tauschte einzelne Akteure aus, behielt aber das Gros.

Sibelius hat dagegen seine Ankündigung wahrgemacht, alle kündbaren Künstler-Soloverträge aufzulösen. Was bleibt, sind eine Handvoll "Unkündbare" (mindestens 15 Jahre im Haus), dazu Mitarbeiter hinter den Kulissen, in Bereichen wie Soufflage und Inspizienz. Für die meisten Sänger, Tänzer und Schauspieler wird kein Platz mehr sein.

Auch wenn dieses Prozedere für Trier neu ist: Unüblich ist es keineswegs. In Wiesbaden hat der künftige Intendant gerade alle Künstlerverträge gekündigt. Dass Sibelius formal im Recht ist, bestreitet auch Angelika Schmid nicht, Trierer Obfrau der Künstlergewerkschaft GDBA. "Trotzdem", sagt die Sängerin, die seit mehr als 30 Jahren zum Haus gehört, "ist das alles eine traurige Angelegenheit". Vor allem, "weil die Aussagen der Stadt gegenüber dem Ensemble eigentlich mal ganz anders klangen".

Aber der neue starke Mann am Augustinerhof beruft sich gerade auf den Auftrag der Politik, die Geschicke des Hauses neu zu gestalten. Sibelius rechnet fest damit, dass mit seinem Amtsbeginn im kommenden Jahr auch die Großsanierung des Theaterbaus startet. Und das heißt, dass er die ersten zwei oder drei Spielzeiten mit seiner kompletten Truppe durch verschiedene Spielorte vagabundieren wird.Freie Hand für neue Aufgaben

"Dafür brauche ich auch personell freie Hand", betont der Österreicher, der vom Stadtrat einstimmig berufen wurde. Zudem will er den neuen Spartenchefs für Schauspiel, Oper und Tanz nicht vorgreifen, die er mitbringt. Sie sollen sich ihre Protagonisten selbst aussuchen können. Eine Chance für das eine oder andere aktuelle Ensemblemitglied? "Das schließe ich nicht aus", sagt Sibelius, warnt aber davor, "sich da übermäßige Hoffnungen zu machen". Er wolle das Personal bald "möglichst passgenau für die neuen Strukturen verpflichten".
Klärungsbedarf besteht wohl noch im Verhältnis zwischen dem Intendanten und Generalmusikdirektor (GMD) Victor Puhl. Traditionell verfügt der GMD in Trier über ein hohes Maß an Selbstständigkeit. Beide Herren betonen, ein gemeinsames Konzept erarbeiten zu wollen. Aber Sibelius macht keinen Hehl daraus, dass er sich in seiner deutlich gestärkten Funktion als künstlerischer und kaufmännischer Leiter des Hauses auch als letztlicher Chef der Orchester-Abteilung fühlt. Was auch gute Seiten haben könnte: Er wolle, sagt Sibelius, "dass das Orchester einen Konzertdramaturgen und einen Musikpädagogen bekommt". Auch hier gelte: "Kündigungen bedeuten auf gar keinen Fall Personalabbau."Meinung

Entscheidend ist, was kommtWer aus dem verbindlichen Stil und der offenen Art von Karl Sibelius geschlossen hat, der neue Intendant könne keine Härte zeigen, hat sich geirrt. Sibelius geht das an, wofür die Politik zu zaudernd war: Das Trierer Theater durch Strukturveränderungen zukunftsfest zu machen. Dafür hat er im ersten Schritt alles eingerissen, was er einreißen konnte. Dass das aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen vorrangig die Künstler trifft, ist ungerecht und in etlichen Fällen schlicht schade.

Aber das Trierer Theater 2020 wird ein sehr viel anderes sein (müssen) als heute. Das wird ein schwieriger, komplizierter, manchmal schmerzhafter Prozess. Verständlich, dass er da möglichst vom Nullpunkt anfangen will. Entscheidend ist freilich, was statt des Alten kommt. Da wäre es sinnvoll, bald Zeichen zu setzen. Auch, was das Orchester und seinen Chef angeht. Da ist die Stadt gefordert, die Kräfteverhältnisse zu klären, bevor ein Konfliktherd entsteht und sorgsam Aufgebautes gefährdet wird. d.lintz@volksfreund.de

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