Flüchtlingsdrama gewinnt in Cannes

Paris · Jacques Audiard zeigt mit seinem Film "Dheepan" auf soziale Abgründe mitten in unserer Gesellschaft. Dafür gewinnt der Regisseur beim Filmfest Cannes die höchste Auszeichnung. Auch die Preise für die besten Hauptdarsteller gingen an Franzosen.

Paris. Die tamilischen Rosenverkäufer in den Restaurants waren es, die Jacques Audiard zur Hauptperson des Films "Dheepan" geführt haben. "Wir stellen uns nie Fragen über sie. Aber ihre Geschichte steht weit über unserer", sagte der französische Regisseur im Interview mit der Zeitung Le Figaro. So wie die Geschichte von "Dheepan", einem srilankischen Flüchtling, der in der heruntergekommenen Pariser Vorstadt ein neues Leben anfängt. Zusammen mit Yalini, ebenfalls aus Sri Lanka, die nicht seine Frau ist, und der neunjährigen Illayaal - nicht mit den beiden verwandt.
Das Drama um die zusammengewürfelte Einwandererfamilie wurde am Sonntagabend beim Filmfest in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. "Ich hatte Lust, Leute zu zeigen, die radikal anders sind, die eine Katastrophe erlebt haben, ein großes Drama. Und die keinen Bezug zum französischen Sprachraum haben", begründete der 63-Jährige seine Themenwahl.
Seine Hauptdarsteller sprechen kein Französisch - der eine Stunde und 49 Minuten lange Film, der im August in den Kinos in Frankreich anläuft, ist auf tamilisch und wird untertitelt. Dieses Experiment und die Tatsache, dass Audiard auf Laien zurückgriff, waren es, die den Film unter den insgesamt 19 Wettbewerbsbeiträgen auszeichneten.
Antonythasan Jesuthasan, der den bärtigen "Dheepan" spielt, entdeckte der Regisseur bei einem Casting in Paris. Der Schriftsteller, der seit 15 Jahren in Frankreich lebt, hatte vorher noch nie vor einer Kamera gestanden. Er war als ehemaliger Kämpfer einer Rebellengruppe aus Sri Lanka geflohen - ebenso, wie die Eltern der kleinen Claudine Vinasithamby, die Illayaal spielt.
Vom Bürger- zum Bandenkrieg


Zusammen finden sich die drei Hauptpersonen in einem sozialen Brennpunkt in Poissy im Großraum Paris wieder, wo Dheepan einen Job als Hausmeister gefunden hat und nach dem srilankischen Bürgerkrieg prompt in die Bandenkriege der Problemvorstädte gerät. Es war wohl die Flüchtlingsgeschichte, die in der Jury den Ausschlag für Audiard gab. "Wir waren alle sehr begeistert", sagte US-Regisseur und Drehbuchautor Ethan Coen, der mit seinem Bruder Joel dieses Jahr die neunköpfige Jury leitete. Dabei ist "Dheepan" nach Ansicht der meisten Kritiker nicht der beste Film Audiards, der durch "Lippenbekenntnisse" und "Der wilde Schlag meines Herzens" bekannt wurde.
Auch die Konkurrenz war dieses Jahr nicht ganz so stark wie sonst. Nicht umsonst wies der Gewinner in seiner Dankesrede darauf hin, dass diesmal Michael Haneke fehlte, der 2009 und 2012 die Goldene Palme gewonnen hatte.
Audiard war nicht der einzige Franzose, der an der Croisette einen der begehrten Preise erhielt. Vincent Lindon wurde als bester Schauspieler für die Rolle des Dauerarbeitslosen Thierry in "La loi du marché" geehrt. Als dritte Französin wurde Emmanuelle Bercot für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet, zusammen mit der US-Schauspielerin Rooney Mara für deren Rolle in "Carol" von Todd Haynes. Die Regisseurin Agnès Varda erhielt einen Preis für ihr Lebenswerk.
"Das französische Kino glänzt heute in Cannes und in der Welt", twitterte Premierminister Manuel Valls nach der Preisverleihung. Zu sehr freuen sollte sich die Regierung allerdings nicht, denn es ist ein düsteres Bild Frankreichs, das die Siegerfilme zeichnen. "Dheepan" endet sogar damit, dass die Einwanderer Frankreich den Rücken kehren, um in Großbritannien ein neues Zuhause zu finden.

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