Bildband So hat man den Dom noch nie gesehen

Trier · Wie viele Bildbände mag es über den Trierer Dom geben? Eine Kathedrale, die in der Hochsaison täglich rund 10 000 Menschen besuchen und die als älteste Bischofskirche nördlich der Alpen gilt? Der bisher letzte Band ist 40 Jahre alt, von der Größe eines Schulbuchs, teils in Schwarz-Weiß, vergriffen sowieso. Jetzt legt Fotograf Gerd Detemple ein Werk vor, das außergewöhnlich ist.

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
 Fotograf Gerd Detemple erzählt von seiner Arbeit am Bildband über den Trierer Dom.

Fotograf Gerd Detemple erzählt von seiner Arbeit am Bildband über den Trierer Dom.

Foto: Anne Heucher

Gerd Detemple richtete sich drei Jahre lang ganz nach der Sonne. Ihrem Stand über Trier und manchmal auch ihrer Ferne im Winter. Für die große Innenansicht, in der der Fotograf den weiten Blick aus der Mitte des Doms Richtung Altar einfängt, durfte es nicht zu hell sein – das Gegenlicht hätte sonst ganze Flächen verschluckt. „Die großen Übersichtsaufnahmen habe ich bei ganz dunklem Wetter im November gemacht“, erzählt der 74-Jährige über sein Projekt, aus dem gerade ein 30 mal 32 Zentimeter großer Bildband entstanden ist. „Es ging darum, ein ganz schwaches Gegenlicht zu bekommen.“ Auf dem Foto erkennt man aus gefühlt 50 Metern Entfernung noch die Lichtreflexionen auf den Knäufen des Treppengeländers und in den vielen Ocker- und Brauntönen der Pfeiler und Bögen noch einzelne Steine.

Über das Licht und das, was es aus dem Trierer Dom macht, hat Detemple jahrelang Buch geführt. Darüber, wann genau die jeweiligen Epochen aus 1700 Jahren Baugeschichte am besten zur Geltung kommen und wann die Schatten davonhuschen, die sich je nach Wetter auf Kanzel, Altäre und Kapitelle legen. 5000 Bilder umfassen diese Studien inzwischen, manche Motive dutzendfach, bis endlich das eine Bild herauskam, das Detemple gefiel. „Mir ging es darum, diese Auflösung zu zeigen“, sagt er beim Anblick des Kathedralraum im beleuchteten Fotokasten, der eine ganze Wand in seinem Haus in Igel (Kreis Trier-Saarburg) einnimmt. Die feinen Strukturen in Architektur und Ausstattung sollten sichtbar werden, ohne dass es Verzerrungen gibt, auch nicht in den äußersten Winkeln.

So kann man beim Blättern im Buch den Dom deutlicher sehen, als ihn wohl die meisten Besucher je sahen. Nicht nur, weil der Fotograf auch schwer zugängliche Orte besuchte wie die Grabung unter dem Fußboden des römischen Quadratbaus, den Dachboden oder den Kapitelsaal, wo so wichtige Entscheidungen wie die Wahl des Bischofs getroffen werden. Detemple nutzt auch modernste Technik beim Fotografieren und Nachbearbeiten. Eigentlich, erzählt er, sollte aus den Bildern eine Ausstellung in Köln entstehen, in der die Besucher anhand der großformatigen Fotos eine Führung durch den Trierer Dom erleben. Der jetzt erschienene Bildband sei der Katalog zu diesem nicht realisierten Projekt. Bei den knapp 200 Fotos wechseln, passend zu dieser Idee,  die Layouts je nach Perspektive. Doppelseitige randlose Totalen geben einen Eindruck von der schieren Größe des Bauwerks, kleinere Nahaufnahmen daneben die unfassbar große Vielfalt an Formen – menschliche Figuren, Tiere, Engel, Skelette und Kapitelle. Manche Details sind so stark vergrößert, dass Risse oder Putzabbröckelungen sich wie eine Mahnung zur Bewahrung lesen.  

Bis Detemple, der früher Kunsterzieher war und als Gründer der Igelstudios in Igel lange eine überregional erfolgreiche Werbeagentur leitete, einen Schlüssel zu Triers ehrwürdiger Kathedrale bekam und dann auch fotografieren konnte, wenn die jährlich rund 1 Million Besucher keinen Zutritt hatten, musste er einige Widerstände überwinden. Eine kleine Ausstellung leistete Überzeugungsarbeit. Der ehemalige Diözesankonservator Franz Ronig soll als einer der ersten völlig begeistert gewesen sein von den großformatigen Nahaufnahmen, die Details oft klarer zeigen als man es mit dem bloßen Auge erfasst. Und zufällig lernte Detemple im Dom noch einen Mitstreiter kennen, der im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität München die Baugeschichte untersuchte. Dominik Jelschewski steuerte für den Bildband einen gut verständlichen Text über die Entwicklung der Kathedrale seit der Antike bei. Daneben bietet das Werk drei weitere wissenschaftliche, für Laien aber eher schwierige Aufsätze zu Architektur, Ausstattung und der letzten großen Renovierung.

Das I-Tüpfelchen auf Detemples akribisch erarbeitetem Werk bilden die Grundriss-Abbildungen, die nicht nur farblich die Epochen vom römischen Quadratbau bis zur barocken Heiltumskammer des frühen 18. Jahrhunderts sichtbar machen, sondern auch alle Punkte markieren und mit Seitenzahlen verknüpfen, an denen die Bilder entstanden sind. So ist das Werk auch ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk für alle, die sich immer wieder mit dem Dom beschäftigen. Eine ästhetische Bereicherung ist es allemal.

Bildband Trierer Dom Gerd Detemple

Bildband Trierer Dom Gerd Detemple

Foto: Anne Heucher

Weltkulturerbe Trierer Dom. Einblicke in Deutschlands älteste Kathedrale. Gesehen von Gerd Detemple, Verlag Schnell und Steiner 2021,  192 Seiten, 50 Euro.

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