Frisch und unverbraucht

LUXEMBURG. Mit einer neuen Produktion der "Zauberflöte" biegt das Grand Théatre auf die Zielgerade eines spannenden, unkonventionell gestalteten Mozart-Jahres ein. Der polnische Schauspiel-Regisseur Krystian Lupa gewinnt dem Opernmärchen tatsächlich ein paar ungewohnte Facetten ab.

Es macht Spaß, der jungen Truppe da vorne auf der Bühne des Grand Théatre zuzuhören und zuzusehen. Prinz Tamino ist 27, die Königin der Nacht noch ein Jahr jünger, Hohepriester Sarastro gerade mal 30, und Pamina verrät ihr Alter im Programmheft zwar nicht, dürfte aber wie Papageno und Papagena das dritte Lebensjahrzehnt noch nicht beendet haben. Da wird auf der Bühne eine Frische und Unverbrauchtheit spürbar, die gerade dem Repertoire-Dino "Zauberflöte" gut tut. Dazu passen die flotten Tempi und die kraftvollen Kontraste, die Dirigent Christopher Moulds der gut aufgelegten "Camerata Salzburg" entlockt und die gleich bei der Ouvertüre daran erinnern, dass Mozart nicht nur Singspiele komponiert hat, sondern auch einen "Don Giovanni". Erstaunlich, mit welcher stimmlichen und darstellerischen Qualität das junge Team - das luxuriöserweise in einer kleinen Rolle wie dem "Sprecher" durch einen großen Sänger wie Olaf Bär verstärkt wird - aufwartet. Die Überraschung weicht bei näherem Hinsehen: Fast alle haben schon an ersten Häusern gesungen, in Wien, Berlin, Paris, Salzburg. Sonor und souverän gestaltet Günther Groissböck den Sarastro, klangschön im Timbre und mit viel Mut zu Piani überzeugt Pavol Bresliks Tamino. Eigenes Profil statt abgegriffener Klischees

Fast eine spur zu kühl in ihrer technischen Brillanz singt Olesya Golovneva die Königin der Nacht, während es Klemens Sander als Papageno schafft, den hartnäckigen Klischees der Rolle ein eigenes Profil entgegenzusetzen. Kein "Weaner Gaudibursch", wie so oft, eher ein Mensch von einfachem, aber praktischem Verstand und nüchterner Abwägung, der mit dem hochtrabenden Weisheits-Gehabe der anderen nichts am Hut hat. Dabei hilft ihm die Genauigkeit, mit der sich die Regie einzelnen Figuren widmet. Krystian Lupa interessiert sich für das, was zwischen den Menschen passiert, die er auf die Bühne stellt. Wenn bei anderen Inszenierungen die großen Arien deklamiert werden und die Protagonisten ergriffen, aber reaktionslos lauschen, dann spiegelt sich bei Lupa in Gesten und kleinen Bewegungen der Inhalt der Musik und der Texte wider. So gelingt es, manche Figur neu zu entdecken, neben Papageno vor allem die Pamina von Helena Juntunen. Eine selbstbewusste junge Frau, mal trotzköpfig, mal überschwänglich, mal mit ironisch-großer Geste, jedenfalls aber kein leidendes Opfer. Juntunen spielt das frech, spannend, mit enormer Bühnenpräsenz und sängerischer Verve, auch wenn stimmlich ein paar Ecken und Kanten mitzuhören sind. So filigran Lupa im Kleinen arbeitet, so unentschieden ist er im Großen. Er lässt die Oper in einem bühnenhohen Blechkasten beginnen, mit der faszinierenden Projektion eines überdimensionalen Kopfes, der gespenstisch wirkt, weil eine Gesichtshälfte gespiegelt ist. Aus dem Mund entweicht eine bedrohliche Figur, die auf Tamino losgeht - die mystische, verfremdete Schlange. Man stellt sich auf Video-Ästhetik und Psychoanalyse ein, aber prompt werden Bildersprache und Gestik geradezu konventionell. Die als Bühnenrahmen aufgebaute antike Theatermaschine kracht und rumpelt, die Königin der Nacht schwebt von der Decke wie anno dunnemals, zwischendurch gibt's ein bisschen Feuerwerk wie im Musical, dann wird es wieder surreal. Zum Chor fällt dem Regisseur wenig ein, zur Feuer- und Wasserprobe nichts. Die wilden Tiere des Waldes entpuppen sich als barbusige, etwas tapsig umherschwankende Gestalten, was sicher den einen oder anderen Zuschauer erfreut, aber zur Erhellung wenig beiträgt. Doch im nächsten Moment gelingt wieder ein faszinierendes, magisches Bild.Verrisse in Wien und Aix-en-Provence

Trotz der ästhetischen Berg- und Talbahn: Die Inszenierung hat so viele Qualitäten, dass unverständlich bleibt, warum sie in Wien und Aix-en-Provence, mit denen Luxemburg kooperiert, derart verrissen wurde. Im Grand Théatre erntete die Produktion den einhelligen Beifall des Publikums, das übrigens zu einem unübersehbaren Teil aus Trier angereist war. Weitere Vorstellungen am 8. November (Karten unter 0651/9930061) sowie am 10. und 12. November (Rest-Karten an der Tageskasse erhältlich). Vorstellungsbeginn 20 Uhr, am Sonntag 15 Uhr. Informationen zur "Zauberflöte" gibt es unter: www.theater-vdl.lu

Meistgelesen
Neueste Artikel
Blöde Technik
Vinyl der Woche: Seasons in the Sun – Terry Jacks Blöde Technik
Zum Thema
Aus dem Ressort