Gänsehaut-Gefühle im Fünf-Minuten-Takt

Der frenetische Schlussbeifall dauerte geschlagene zwölf Minuten. Das Publikum bedankte sich für begeisternde Chor- und Orchesterleistungen, passgenau besetzte Solistenrollen und ein schlüssiges Regie-Konzept, das mit mancherlei Überraschungen aufwartete.

 Turandot (Vera Wenkert) und ihr Möchtegern-Gemahl (Keith Ikaia-Purdy) TV-Foto: Friedemann Vetter

Turandot (Vera Wenkert) und ihr Möchtegern-Gemahl (Keith Ikaia-Purdy) TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Victor Puhl lässt es krachen. Genussvoll zelebriert er mit sechzig blendend eingestellten Chorsängern (die letzte Großtat des scheidenden Chordirektors Jens Bingert) und einem fulminanten Orchester (auch wenn nicht alle Blechbläser einen Sahne-Abend erwischen) die großen musikalischen Tableaus, die Puccini für sein China-Drama entworfen hat. Man fühlt sich wie in einem Hollywood-Monumentalfilm, wenn das Volk dem Kaiser Altoum huldigt oder wenn seine Tochter Turandot im Furor der Massen die abgeschlagenen Köpfe ihrer gescheiterten Ehe-Bewerber präsentiert.

Gemeistert: Feinheiten und Stimmungswechsel



Aber klotzen kann bei "Turandot" eigentlich jeder. Was Puhl darüber hinaus musterhaft gelingt, sind die Feinheiten und Stimmungswechsel. Bei den Szenen mit den drei Hofbeamten (viel mehr als die üblichen Schießbudenfiguren: Nathan Myers, Peter Koppelmann, Eric Rieger) finden die Trierer Philharmoniker zu jazziger Leichtigkeit, wenn es um Leben und Tod geht, verbreiten sie atemlose Spannung, und wo es gilt, Mitleid zu erzeugen, sorgen sie für Gänsehaut-Gefühle im Minutentakt.

Was ebenfalls bemerkenswert gut gelingt, ist die Bindung zwischen Graben und Bühne. Puccinis letzte und reifste Oper lebt hier davon, dass das Orchester nicht nur begleitet, sondern dass sich ein Dialog entwickelt, dass sich Orchester, Chor und Solisten gegenseitig die Bälle zuspielen.

Mit Sängern, wie sie dieser Produktion zur Verfügung stehen, lässt sich freilich auch gut glänzen. Vera Wenkerts stimmliche Mischung aus Kühle und Durchschlagskraft ist wie geschaffen für die "Prinzessin aus Eis", die in ihrem Zorn und ihrer Angst selbst über ein Fortissimo aus 60 Kehlen und ebenso vielen Instrumenten triumphiert. Keith Ikaya-Purdy ist ein klangschöner, höchst kultivierter "Kalaf", der ohne Posen, ohne Anläufe organisch-rund singt und dankenswerterweise auf billige Effekthascherei auch bei einer Parade-Arie wie "Nessun Dorma" verzichtet. Den größten Jubel heimst Adreana Kraschewski als Sklavin Liu ein, was fraglos nicht nur der herzzerreißenden Opfer-Rolle geschuldet ist, sondern einer stupenden Gesangstechnik, die es ihr erlaubt, noch im Aufstieg auf die höchsten Arien-Töne ein betörendes Piano einzutupfen. Mit der ihr eigenen Mischung aus Geschmackssicherheit und Brillanz wird sie bald über Trier hinauswachsen.

Imposant füllen Pawel Czekala und Laszlo Lukacs auch die kleineren Rollen aus, ebenso wie der aus dem Chor stammende Sergej Snegirev mit einer einprägsamen Studie als Kaiser von China.

Beeindruckendes Bühnenbild



Wer Gerhard Webers Inszenierung schon bei der Erst-Aufführung der Koproduktion in Ascoli Piceno erlebt hat, darf sich auf einen Abend der Überraschungen freuen. Dem beeindruckenden, aber auch extrem statischen Bühnenbild mit hohen Mauern, Treppen, gigantischen Masken und Video-Projektionen, das den Chor zum regungslosen Verharren zwingt, setzt die Regie in Trier weitaus mehr Tiefgang entgegen als beim Rampen-Singen in Italien.

Die Schlüssel-Idee: Hinter der gepanzerten Eis-Prinzessin verbirgt sich eine pubertierende Göre, die furchtbare Panik vor dem Erwachsenwerden hat. Das entspricht dem Alter der Märchenfigur Turandot und wirkt zwar ungewohnt, aber nachvollziehbar. Und es liefert eine schlüssige Erklärung für die schrillen Töne, die Radikalität, aber auch die Kehrtwendungen, die Puccini seiner Figur zugeschrieben hat. Die Regisseurin Doris Dörrie hat das an der Berliner Staatsoper ganz ähnlich interpretiert.

Folgerichtig, wenn auch schockierend, der Schluss: Turandot, zunächst bereit sich auf die Liebe zu Kalaf einzulassen, muss erleben, wie der Macho (leider ist seine Charakteristik nicht so gut herausgearbeitet wie ihre) sich mit der von ihr eroberten Krone vor seinen Anhängern und dem wankelmütigen Volk brüstet wie mit einem frisch erbeuteten Skalp. Sie ersticht sich, wie es auch die von ihr insgeheim bewunderte Sklavin Liu getan hat. Am Ende Riesen-Jubel, der auch den originellen, scharf zwischen der opulenten Adels-Pracht und dem anonymen Volk differenzierenden Kostümen von Carola Vollath gilt.

Weitere Vorstellungen: 23., 27. Juni; 3., 12. Juli.

Tickets in den TV-Service-Centerin Trier, bitburg, Wittlich, unter der TV-Tickethotline 0651-7199-996 und onlne unter www.volksfreund.de

UMfrage

Helga Ronde, Gusterath: "Eine grandiose Aufführung. Eine ganz große Oper. Die Wandlung von Turandot zur anscheinend angepassten Prinzessin ist eine tolle Idee, nur ein bisschen gewöhnungsbedürftig." Frank Höller, Trier: "Schön, dass mal auf Experimente verzichtet wurde. Die Menge an Darstellern hat sich am Schluss auch rentiert. Ein Erfolg fürs Theater Trier." Julia Daldrup, Haltern: "Die Oper war super. Vor allem das Bühnenbild mit den Wellen und verschiedenen Farben fand ich ganz toll, überhaupt nicht billig gemacht. Tolle Stimmung im Publikum und auch auf der Bühne." TV-Umfrage: Ludwig Hoff

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort