Theater Eine Verneigung vor Erich Kästner

Trier · Schauspieler Walter Sittler und sechs Musiker sorgen in „Als ich ein kleiner Junge war“ für einen leisen, berührenden Abend im Theater Trier.

 Schauspieler Walter Sittler in der Inszenierung von Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“.

Schauspieler Walter Sittler in der Inszenierung von Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“.

Foto: Jennifer Sittler

Es ist der stille Höhepunkt am Ende des Abends. Walter Sittler und Erich Kästner, das ist zu diesem Zeitpunkt längst ein und derselbe, sitzt im Lichtkegel, die Musik schweigt – und Kästner irrt rastlos durch die Straßen seiner Kindheit, durch sein Dresden der letzten Königsjahre. Auf der Suche nach seiner depressiven Mutter Ida, vom Leben müde. Wieder einmal. „Mutti, Mutti, Mutti, Mutti! Mir fiel nichts weiter ein. Es war bei diesem Wettlauf mit dem Tod mein einziges endloses Gebet.“ Er braucht keine große Gesten, kein lautes Tönen, kein Theatralik-Glutamat. Sittler alias Kästner hat ohnehin längst die unbedingte Aufmerksamkeit jedes Zuschauers im Saal. „Ich fand sie jedesmal. Und fast jedesmal auf einer der Brücken. Dort stand sie bewegungslos, blickte auf den Strom hinunter und sah aus wie eine Wachsfigur.“

„Als ich ein kleiner Junge war“, so heißt Erich Kästners (1899 - 1974) autobiografisches Buch aus dem Jahr 1957, in dem der gerühmte Schriftsteller und Dichter seine Kindheit in Dresden literarisch verarbeitet.

Es ist auch eine Hommage an seine Mutter, in deren Leben alles um Erich kreiste – und die es ihm nicht verübeln konnte, dass er seine Ausbildung zum Volksschullehrer kurz vor dem Abschluss abbrach, um studieren zu gehen. Kästner verarbeitete das später in „Das fliegende Klassenzimmer“, einem seiner Kinderbuch-Klassiker.

Die „Als ich ein kleiner Junge war“-Inszenierung von Martin Mühleis ist seit der Premiere 2006 ein großer Erfolg auf deutschen Bühnen, auch die beiden Gastspiele im Theater Trier am Freitag und Samstag waren frühzeitig ausverkauft.

Das liegt zu einem nicht geringen Maße an Walter Sittler, der in der Rolle des feinsinnigen Ironikers Kästner regelrecht aufgeht. Sittler mag man aus Fernsehformaten wie „Nikola“ oder „girl friends – Freundschaft mit Herz“ kennen. Aber auch für die leisen Töne ist der 68-Jährige genau der Richtige. Sein Kästner-Monolog erfordert von ihm in jeder Sekunde höchste Konzentration. Kästner ist mal humorvoll, ohne Schenkelklopfer, mal nachdenklich, wenn er sich an seine Rückkehr ins zur Unkenntlichkeit zerbombte Dresden nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Er schreibt bildhaft, oft lakonisch, zieht schon mal das Tempo an. Kästner ist zeitlos, weil er die Menschen kannte: Er wusste, dass die Fehler von gestern wieder die von morgen sein werden.

Sittler sitzt und steht aber nicht allein auf der Bühne – sechs Musikerinnen und Musiker spielen die von Jazz-Saxofonist und Fagottist Libor Sima für die Inszenierung geschriebenen Stücke, mal als Begleitung, auch mal solo. Sie passen sich dem Erzählfluss perfekt an: unaufgeregte kleine Song-Perlen, die der Inszenierung zusätzlichen Glanz verleihen. Ein stiller, berührender Abend im Theater und eine Verneigung vor Kästner – vom Trierer Publikum am Freitag mit standing ovations gefeiert.

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