Jüdisches Leben Erzählte Stolpersteine

Aach · Zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ fällt der Blick besonders auf Orte, in denen noch vor 100 Jahren viele Juden lebten. In Aach bei Trier war jeder dritte Einwohner im 19. Jahrhundert jüdisch. Aus der anfangs zögerlichen Erinnerung haben die Bürger einen Ort vielfältigen lebendigen Gedenkens gemacht.

 Eva Schanen zeigt den sogenannten Mosesstein vor der Synagoge. Lange Zeit befand er sich als Schlussstein auf dem Dach und überragte, jüdischer Tradition folgend, die umliegenden Gebäude, sogar den früheren Dachreiter der Kirche.

Eva Schanen zeigt den sogenannten Mosesstein vor der Synagoge. Lange Zeit befand er sich als Schlussstein auf dem Dach und überragte, jüdischer Tradition folgend, die umliegenden Gebäude, sogar den früheren Dachreiter der Kirche.

Foto: Anne Heucher

Es musste viel Zeit ins Land gehen, bevor die Bewohner von Aach sich der Vergangenheit stellen wollten. 1985 war es in der heute 1100 Einwohner zählenden Gemeinde sechs Kilometer von Trier entfernt beim Erstellen einer Dorfchronik noch zu einem Eklat gekommen, als auf einem Gruppenfoto ein SS-Mann auftauchte. Erst drei Jahrzehnte später erbrachte eine Studie von Universität Trier, Kreis Trier-Saarburg, Bistum und Gemeinde über das heutige Dorfleben, wie sehr die älteren Einwohner sich eine Aufarbeitung der jüngeren Ortsgeschichte mit ihren jüdischen Nachbarn wünschten. Schließlich war im 19. Jahrhundert jeder dritte Aacher Jude, und viele weitere jüdische Händler aus anderen Orten zogen auf dem Weg nach Trier durchs Dorf. Daraus ist ein großes Projekt geworden, das akribisch zusammengetragen hat, was man über die jüdischen Bewohner und ihre Geschichten noch in Erfahrung bringen konnte. Es mündete nicht nur in eine kleine Publikation „Auf jüdischen Spuren in Aach“ (Verlag Michael Weyand Trier), sondern auch in geführte Rundgänge, in denen die Aacherin Eva Schanen das erarbeitete Wissen und eine Unsumme an Geschichten über die Schicksale der jüdischen Mitbürger weitergibt.

Sie sei in das Projekt reingeschlittert, erzählt Schanen, weil die Erinnerung der älteren Zeitzeugen ein vertrautes Umfeld erforderte. Zunächst hätten die beteiligten Studenten nämlich nur wortkarge Antworten auf ihre Fragen nach der Vergangenheit bekommen. „Ich wurde mitgeschickt als eine, die die Leute kennen“, erzählt Schanen. „Ich bin Ur-Aacher, mich kennen die Leute schon von ganz klein auf. Und dann haben die angefangen zu erzählen.“  Wenn der Knoten mal gelöst war, hätten die Menschen sehr viel erzählt, manche stundenlang. Über die Gesänge, die oft aus der Synagoge drangen, das ungesäuerte Brot, das am Sabbath-Abend an die kinderreichen Nachbarn verteilt wurde, über freundschaftliche Nachbarschaft, aber auch die Zerstörungen in der Reichspogromnacht und danach.

Was die 26 Zeitzeugen bei den Befragungen schilderten, war aufwühlend, erzählt Schanen. „Es ist das, was ich jetzt bei den einzelnen Häusern erzähle – aus dem Leben dieser Menschen, die da in diesem Haus gelebt haben.“ Charaktere, Familienverhältnisse, Berufe und natürlich das Schicksal unter der Nazi-Herrschaft. So unterschiedlich die Menschen und Geschichten – allen gemeinsam ist, dass ihr Leben in Aach spätestens im Zweiten Welkrieg endet. Viele fliehen, doch 28 im Ort geborene Juden wurden laut Nachforschungen ermordet. Darüber berichtet auch der Flyer, den der Arbeitskreis Jüdisches Aach erstellt hat und der 15 Stationen von der Synagoge bis zum Judenfriedhof in den Blick nimmt und dabei Zeitzeugen zitiert. Er hat dafür auch Kontakte zu Hinterbliebenen bis in die USA geknüpft und in Archiven geforscht.

Wenn Eva Schanen erzählt, setzt sie den Opfern ein Denkmal, wie es andernorts durch Stolpersteine – das Projekt des Künstlers Gunter Demnig – geschehen ist. Sie erinnert an großzügige Nachbarschaftsdienste wie das Verleihen einer Kuh, den Sprachmix aus Jiddisch und Eifeler Dialekt, mit dem die Kinder aufwuchsen, die Feste im Schatten der großen Synagoge oder den Schneider, der für Deutschland im Ersten Weltkrieg ein Bein verlor.  „Stolpersteine wollten wir nicht so richtig“, erklärt Schanen. Die Älteren im Dorf „sagen Nein, dann trampeln wir ja wieder über die drüber. Wir haben etwas Anderes vor“.

Ein Schwerpunkt der Aacher Gedenkarbeit ist der alte Judenfriedhof mit einer Stele für alle dort begrabenen Menschen. In einem Workcamp haben Jugendliche aus der ganzen Welt ihn von Sträuchern freigeschnitten und gestaltet. Aacher Waldarbeiter hatten zuvor schon einen alten Grabstein gefunden, der wieder aufgestellt wurde. Sobald die Saison beginne, berichtet Schanen, werde der Friedhof wieder schön gepflegt.

 Diese Tafel hängt an der  Synagoge in Aach, die heute privat genutzt wird.

Diese Tafel hängt an der Synagoge in Aach, die heute privat genutzt wird.

Foto: Anne Heucher

Die Rundgänge dagegen haben immer Saison, es kommen Schulklassen aus der Pfalz, Firmgruppen und Menschen aus aller Welt, die die Geschichten ihrer Verwandten suchen. Das Besondere an den Führungen im Auftrag der Dorfgemeinschaft: Hier findet sich auf zwei oder drei Kilometern wie in einem Brennglas jahrhundertealtes Leben von Juden und Christen. „Uns geht es darum, dass bei den Menschen, die heute leben, diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät.“

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