Gefangen im Glück

TRIER. Ein Höhepunkt des Trierer Konzertsommers: Bright Eyes, das Dauerprojekt des derzeit wohl größten amerikanischen Songwriter-Talents Conor Oberst, verstört und bezaubert zugleich. 850 Zuschauer sahen den in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Auftritt in den Kaiserthermen.

Das Leben ist ein Kampf, wenn auch kein ewiger. Conor Oberst, der Kopf hinter Bright Eyes, kämpft ständig. Diesmal in Trier, gegen die Tücken des Körpers. Dagegen, dass man nicht gleichzeitig Stubbis trinken und Botschaften unters Volk bringen kann. Obwohl das gut wäre. Man kann es versuchen. Oberst kann schließlich fast alles. "Freiheit bedeutet in eurem Land nicht das Gleiche wie bei uns. In meinem Land heißt Freiheit: Du machst, was sie dir sagen", sagt er. Drei Sätze, ein zwischenzeitlich leeres Bier, eine bittere Erkenntnis. Nun ist der 25-jährige Songwriter-Star nicht in seiner Heimat Nebraska. Seine Freiheit nimmt er sich überall. Egal, ob nun im "Kolosseum" (so vergrößert er verbal die Trierer Kaiserthermen) oder sonstwo. Etwa die Freiheit, nur das zu spielen, was er spielen will. Ohne Zwänge oder Kompromisse. Auf der "Digital Ash in a Digital Urn"-Tour, die er am Dienstagabend in Trier begonnen hat, will der zierliche Amerikaner eine Seite zeigen, die nur wenige mit ihm verbinden: seine elektrische. E-Cello, E-Violine, E-Gitarre. Das ist kompositorisch dicht und clever, aber nicht immer leicht zugänglich. Alle anderen Bright-Eyes-Alben klingen völlig anders - luftiger, mehr nach Country und Folk, mit mehr Akustik-Gitarre. So warten manche Fans sehnsüchtig auf die alten Stücke, die nicht kommen werden. Die meisten unter den 850 Zuschauern lassen sich aber von der seitengescheitelten Genialiät mit dem deutlichen Hang zum Wahnsinn verzaubern. Nur als Zugabe gibt es mit "Lover I don't have to love" ein "typisches" Bright-Eyes-Lied. Ansonsten gilt: Digital ist besser. Für ihn und für heute. Schon im Vorprogramm haben Obersts Label-Kollegen "The Faint" mit ihrer perfekten Mischung aus 80er-Synthie, ein paar Pop- und Punk-Elementen einen bemerkenswerten Auftritt hingelegt. Da muss sich Mr. Bright Eyes anstrengen, um das zu übertreffen. Oberst hat es mit seinen Songs nach oben geschafft, nicht mit Anbiederung. Er hat keine echten Hits und will auch keine. Die "Pre-Election-Tour" im Vorjahr mit R.E.M. und Bruce Springsteen hat ihm eine riesige Popularität in den Staaten gebracht, auch hier hat er es auf die Titelseiten der Musik-Zeitschriften geschafft. Einen solchen Songwriter und Texter in Trier, mit diesem Talent, solch (manchmal morbider) Ausstrahlung hat man lange nicht gesehen. Vielleicht noch nie. Auch, weil er noch auf dem Weg nach oben ist - ob er dort hin will oder nicht. Und noch nicht auf dem langen Rückweg Richtung Rente. Oberst ist ein junger, zorniger, romantischer Mann, der - das zeigt er in Trier - sehr viel Bier in seinen schmächtigen Körper schütten kann. Einer, der vielleicht irgendwann (fast) so groß werden kann wie Bob Dylan. Das ist der Lieblingsvergleich der US-Presse. Nur so alt wird er sicher nie. Ein Popstar, der dem alten Muster neue Magie verleiht: Der Rebell ohne Grund. Oder mit. Egal. Der Besessene, der nur in der Musik sein Glück findet und der irgendwann - eher früher als später - den Kampf verlieren wird. Gegen den Alltag, das Ich, die Drogen. Hendrix, Morrison, Cobain, Dean warten. Oberst gehört noch nicht dazu. Er kämpft nicht gegen seinen Porsche, sondern nur gegen seine Kniegelenke. Während er fleht, raunt und in die Saiten greift, sinkt er in sich zusammen, zieht sich dann am Mikro-Ständer wieder hoch. Er klettert auf alles, was sich nicht wehrt, und findet an historischer Stätte Parallelen zwischen den machtgeilen Römern und Amerikanern ("they raped the world"). Dann kommt die letzte Zugabe, "Easy/Lucky/Free". Oberst krümmt sich über einem Keyboard. Ein paar Freunde habe er, die er bald wieder treffen will, klagt er mit brüchiger Stimme. "Wir werden in Säcken liegen, tot wie Laub. Zusammen in Ewigkeit. Aber weine nicht, weine nicht um uns. Nichts macht so glücklich, leicht oder frei." Singt er, befreit, kopfüber. Und lässt sekundenlang Bier aus seinem Mund rinnen, spuckt es aus, bevor er geht.

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