Geheimnisvolle Augen, rätselhafte Schlünde

TRIER. Meisterwerke der Druckgrafik aus der Sammlung Jammers sind derzeit in der Europäischen Kunstakademie in Trier zu sehen. Gezeigt werden die Radierzyklen "Laokoon" von Horst Janssen und "Bäume" von Georg Baselitz.

"Was sah er? Er sah - sich selbst." Die Natur als Spiegel der menschlichen Seele ist ein zentrales Thema der romantischen Kunst. Ihren Dichtern und Malern waren Seele und Natur eins. Dass mit der Selbsterfahrung in der Natur auch die seelische Entfremdung von ihr gerade in der modernen Kunst zum Thema künstlerischer Auseinandersetzung wurde, ist sozusagen eine natürliche Folge. Als letzten Beitrag in ihrem Ausstellungszyklus zur Landesgartenschau zeigt die Europäische Kunstakademie Trier jetzt zwei Künstler, die eben für jene beiden Seelenzustände stehen. Horst Janssen, der moderne Romantiker, und Georg Baselitz, dessen Bilder vom entwurzelten modernen Menschen geradezu zum Markenzeichen wurden, sind nicht nur zwei der prominentesten deutschen Künstler, sondern auch zwei geniale Druckgrafiker. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Ausstellung in der Europäischen Kunstakademie der Höhepunkt der bildkünstlerischen Ausstellungstätigkeit im Rahmen der "Kulturschau" LGS ist. Die beiden Mappenwerke, Horst Janssens "Laokoon" und Georg Baselitz "Bäume", sind Leihgaben des Sammlerehepaars Wolfgang und Waltraud Jammers, die damit einmal mehr qualitätvoll die Kunstszene der Region beleben. Ein selbstloser, großzügiger Sammler sei Wolfgang Jammers, für den Sammeln stets auch gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung sei, betonte Gerhard Schaub als Freund des erkrankten Leihgebers bei der Vernissage. Laokoon, den von den Schlangen erstickten griechischen Priester, hat sich Horst Janssen zum Sinnbild seines 1986 entstandenen gleichnamigen Radierzyklus genommen. Der Künstler selbst verbirgt sich hinter der Titelgestalt dieser späten Darstellung von Bäumen. Allerdings nicht die Schlangen drohen ihn zu strangulieren, sondern eine unglückliche Liebe. "Die Bäume für Annette" heißt die Bilderfolge denn auch. Seit den 70er Jahren hatte der Künstler die Landschaft für sich entdeckt, als Fluchtort, Seelentrost, als Projektionsfläche und Entlastung für seine - nicht zuletzt sexuellen - Leiden am eigenen Leben. Anders als in der griechischen Sage überlebt Janssen-Laokoon, indem er sich über Landschaftsdarstellung und Radierung "Luft" verschafft. Der "Körper" der Radierplatte mit ihren Tiefen und Abgründen, ihrer Wandlungfähigkeit und ihren Verheißungen ist nicht nur Janssens künstlerisch überformter Liebesersatz. Wo ihm Annettes Leiblichkeit Grenzen setzt, eröffnen ihm Platte und Landschaft grenzenlose, "panerotische" Lust. Janssens Laokoon-Bäume sind vielversprechende Gestalten mit lockenden weiblichen Gliedmaßen, geheimnisvollen Augen und Schlünden. Erlkönigs Töchter und Venusberg sind diese grandiosen Bäume, Lustreich und schauerliches Geheimnis. Ganz anders als Horst Janssens Verhältnis zur Natur ist das von Georg Baselitz. Wo dem Hamburger Zeichner und Grafiker Hilfe aus der Natur kommt, da hat Baselitz sein natürliches Urvertrauen verloren. "Mein Dilemma mit der Bodenständigkeit" nennt er jene Entwurzelung, die sich bis in seine Familienbilder verfolgen lässt und deren Schlüsselbild der berühmte "Wald auf dem Kopf" von 1969 ist. Auch in den Trierer Radierungen aus den 70er Jahren wird solche Entfremdung deutlich. Wie Janssen ist auch Baselitz Poet, allerdings ein ungleich vergeistigterer. Baselitz‘ Bäume haben alles Körperhafte verloren, sie sind Ideen ihrer selbst. Auf den Kopf gestellt, werden sie zur Umkehrung überkommener Werte und Bindungen. Schraffierung und Überarbeitung dienen ihm dabei als neue künstlerische Verhüllung. Einmal mehr wird in der Trierer Schau deutlich, wie sehr Baselitz im Grunde Maler ist. Wie sonst mit der Farbe geht er mit den verschiedenen Radiertechniken um, kultiviert, feinsinnig und ausgesprochen poetisch. Ein glänzender Schluss für die Ausstellungsreihe. Bis 29. September, di.-so. 11 bis 17 Uhr.

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