Gentechnik statt Fürsorgeheim

Von unserem Mitarbeiter WOLFGANG LENDERS TRIER. Bei einigen Schülern ist sie verhasst, andere lieben sie: die Lektüre im Deutsch-Unterricht. Während die jüngeren Schüler meist lebensnahe Jugendbücher lesen, beschäftigen sich die älteren mit den Klassikern der deutschen Literatur.

 Ausstattung für ein Schülerleben: So manches Buch haben die Eltern noch aus ihrer Schulzeit im Regal, aber auch neue Titel, die aktuelle Probleme behandeln, lesen die Kinder im Unterricht.Foto: Wolfgang Lenders

Ausstattung für ein Schülerleben: So manches Buch haben die Eltern noch aus ihrer Schulzeit im Regal, aber auch neue Titel, die aktuelle Probleme behandeln, lesen die Kinder im Unterricht.Foto: Wolfgang Lenders

Anspruchsvollsoll sie sein, Kinder und Jugendliche in ihrerPersönlichkeitsentwicklung fördern, ein Verständnis für dieKultur wecken und nebenbei auch noch zum Lesen anregen - dieAnforderungen an Schullektüren sind hoch. Viele Bücher musstenschon die Eltern der jetzigen Schüler lesen, andere haben erst injüngerer Zeit den Weg ins Klassenzimmer gefunden. Und einigesollten die Schüler heute besser nicht mehr lesen - zumindest nach Ansicht einiger Lehrer. "Das A und O in der Orientierungsstufe ist es, die Kinder zum Lesen zu bringen", sagt Susanne Schwind, Lehrerin an der Realschule Speicher. Dazu setzt sie bei den Schülern der fünften oder sechsten Klasse auf spannende Jugendbücher. Etwa auf Max von der Grüns Klassiker "Vorstadtkrokodile", der mit den Worten "Du traust Dich ja doch nicht! Du Angsthase!" beginnt. "Da ist gleich am Anfang was los", meint die Lehrerin. "Das Buch ist zwar aus den 70er Jahren, aber immer noch aktuell." Die Mutprobe, die Kinderbande, die Schwierigkeit, behindert zu sein, Freundschaft - die Themen bewegen die Kinder von heute genauso wie ihre Eltern.

Ob Kinder gerne lesen, hänge stark vom Verhalten der Eltern ab. "Wenn zuhause nicht gelesen wird, lesen die Kinder auch nicht", meint die Pädagogin. "Viele Kinder haben Angst vor einem Buch, es scheint unheimlich dick zu sein, und es sind gar keine Bilder drin."

Bei den älteren Schülern, die das Lesen gewöhnt sind, darf es dann ruhig ein bisschen problembeladener werden. Die Bücher greifen gesellschaftliche Themen auf: So "Die Welle", die Beschreibung des Experiments eines amerikanischen Lehrers zur Entstehung von Faschismus, oder das erst vor einigen Jahren erschienene Buch "Duplik Jonas 7", das die Gentechnik behandelt.

Auch Probleme, mit denen die Schüler direkt konfrontiert werden können, etwa Gewalt, Drogen, erste Liebe oder Magersucht, werden in Büchern wie "Wiebke und Paul" oder "Bitterschokolade" angesprochen. "Die Schüler sollen Lösungsstrategien für das eigene Leben erlernen", sagt Schwind. "Durch positive wie durch negative Beispiele."

Ein Buch allerdings will sie mit ihren Schülern nicht lesen: "Rolltreppe abwärts" von Hans Georg Noack. Es schildert die Geschichte eines 13-jährigen Jungen, der Ladendiebstähle begeht und in einem Fürsorgeheim landet, wo er unter strengen Pädagogen zu leiden hat. "Die Beschreibung des Heims in dem Buch ist antiquiert, entspricht auf keinen Fall mehr der Realität", kritisiert die Lehrerin. "Es gibt Bücher, die das Abrutschen von Jugendlichen in die Kriminalität aktueller darstellen."

Natürlich darf auch die klassische Literatur nicht fehlen. Theodor Storms "Der Schimmelreiter", Annette von Droste-Hülshoffs "Die Judenbuche", Heinrich von Kleists Komödie "Der zerbrochene Krug" und Friedrich Dürrenmatts tragische Komödie "Der Besuch der alten Dame" gehören zum Repertoire. "Die Schüler lernen verschiedene Gattungen kennen", erklärt Schwind. "Was etwa will ein Theaterstück? Wo kommt es her? Wie sind die Personenkonstellationen aufgebaut?"

Die Klassiker stehen auch in der Oberstufe des Gymnasiums im Mittelpunkt. Pflicht ist aber nur ein Buch: Goethes "Faust". "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Schüler das Gymnasium verlässt, ohne ,Faust' zu kennen", sagt Hans-Joachim Kann, der am Max-Planck-Gymnasium in Trier Deutsch und Englisch unterrichtet. Bei den anderen Werken haben die Lehrer die Wahl. "Wir sind frei bei den Titeln, müssen aber bestimmte Epochen und Autoren behandeln", sagt Kann. Zu den Texten, die er bespricht, gehören neben "Faust" Johann Wolfgang von Goethes "Die Leiden des jungen Werther" und "Iphigenie auf Tauris". Von Franz Kafka behandele er häufig kürzere Texte, manchmal auch einen Roman wie "Das Schloss". Auch "Die Blechtrommel" von Günter Grass bespreche er gerne. Damit neuere Werke nicht zu kurz kommen, lässt Kann seine Schüler im Kurs Referate halten. "Als Themen vergebe ich auch relativ neue Bücher, etwa ,Das Parfüm' oder ,Der Vorleser'", sagt Kann. "Die Schüler können sich auch mit Büchern beschäftigen, die gerade neu erschienen sind und die sie vielleicht sowieso gerade lesen."

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