Geschichte aus eigener Erfahrung

MANDERSCHEID. Wolfgang Leonhard ist am Wochenende in Frankfurt mit dem "Europäischen Wissenschafts-Kulturpreis" der Stiftung "Pro Europa" geehrt worden. Der Wissenschaftler und Publizist lebt seit mehr als vier Jahrzehnten in der Eifel.

Seine langjährige Lehrtätigkeit an der Yale-Universität werde der Grund für die Auszeichnung sein, sagt Wolfgang Leonhard ( Foto: Marion Maier ) im Gespräch mit dem TV . Dort war er von 1966 bis 1987 Professor für Geschichte. Und im übrigen sei er als Kenner Russlands und als Zeitzeuge nach wie vor gefragt. Die Stiftung "Pro Europa" vergibt jährlich in wechselnden europäischen Städten ihre Kulturpreise. In diesem Jahr fand die Verleihung in Frankfurt statt. Neben Leonhard wurden der Schriftsteller Peter Demetz, der Politikwissenschaftler Arnulf Baring und Marcel Reich-Ranicki mit dem Wissenschafts-Kulturpreis ausgezeichnet. Die Laudatio auf Leonhard sprach der amerikanische Literaturwissenschaftler Amy Colin. "Die Revolution entlässt ihre Kinder" - dieses Buch machte Leonhard 1955 mit einem Schlag bekannt. Ein Kenner und Kritiker des Sowjetkommunismus erzählte ohne antikommunistische Klischees von seinem Leben als Emigrant und Parteifunktionär in der Sowjetunion und in der sowjetischen Zone. Er schilderte den Terror, die Angst der Menschen, die Hoffnungen der politisch Aktiven und schließlich seine Flucht in den Westen. Geschichte präsentierte sich aus einer neuen, persönlichen Perspektive. Der Buchveröffentlichung folgten Lehraufträge und weitere Publikationen, unter anderem über die Geschichte derSowjetunion, den Hitler-Stalin-Pakt und eine Biographie über Nikita Chrustschow. Geboren wurde Wolfgang Leonhard 1921 in Wien. Von 1935 bis 1945 lebte er in der Sowjetunion und wurde 1942/43 an der Kominternschule zum Parteifunktionär ausgebildet. Anfang Mai 1945 kam er als Mitglied der "Gruppe Ulbricht" nach Berlin und erlebte dort die Besetzung der Stadt mitsamt ihren Schrecken. 1949, nach vier Jahren als Mitarbeiter der Abteilung für Agitation und Propaganda und als Lehrer an der SED-Parteihochschule, floh Leonhard in die Bundesrepublik. Seit mehr als 40 Jahren lebt er in Manderscheid. Die politische Entwicklung in Russland zu beurteilen, ist nach Leonhards Einschätzung "sehr schwierig". Das Putin-Regime sei zweifellos autoritär. Aber das sei historisch verständlich und außerdem: 70 Prozent der Bevölkerung unterstützten den Kurs einer politisch kontrollierten Marktwirtschaft. Der Ost-West-Experte warnt darum vor unüberlegten Einmischungen.

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