Glasbruch auf atomarer Ebene

Eine Kohlenstoffverbindung in Form eines Sprossenfensters - das hatten sich die Forscher fein ausgedacht. In der Realität mussten sie sich aber der Unbeugsamkeit des Kohlenstoffs geschlagen geben. Diese Woche stellt die Serie des Deutschlandfunks in Kooperation mit dem Volksfreund die Verbindung Fenestran vor.

 Was Schreiner und Glaser können, ist den Chemikern nicht gelungen: Eine symmetrische Fensterscheibe bauen. Foto: Volker Mrasek

Was Schreiner und Glaser können, ist den Chemikern nicht gelungen: Eine symmetrische Fensterscheibe bauen. Foto: Volker Mrasek

Trier. Ein Flachglas-Fenster, wie man es in alten Fachwerkhäusern häufig sieht. Quadratisch in der Form und durch Holzrahmen und -sprossen in vier kleinere Quadrate aufgeteilt. Macht, bei genauerer Betrachtung, vier mal vier 90-Grad-Winkel und neun Punkte, an denen die Streben im Holzkreuz miteinander verbunden sind: in den Ecken, in der Mitte der vier Außenkanten und dort, wo der Fenstergriff sitzt, im Zentrum des Kreuzes.

Un-Jahr der Chemie: Das Molekül der Woche



Was Schreiner und Glaser so schön symmetrisch hinbekommen, haben Chemiker auch im atomaren Maßstab versucht. Und der Welt ein organisches Kohlenstoff-Molekül mit dem phänomenalen Namen Fensterscheibe beschert.

Na ja, nicht wirklich. Fensterscheibe oder Fenestran, wie das Molekül offiziell heißt, blieb am Ende eine Kopfgeburt. Es gelang nämlich nicht, neun Kohlenstoff-Atome in ein flaches Raumgitter mit vier Quadratringen und lauter rechten Winkeln zu zwängen. Eine solche Bindungsgeometrie wäre auch wider die Natur von organischem Kohlenstoff gewesen. "Aber darin bestand ja die große Herausforderung", erinnert sich Martin Saltzman, emeritierter Professor für Naturwissenschaften am Providence College in den USA, an Ideen aus den 70er Jahren.

Saltzman und andere organische Chemiker wollten im Prinzip wissen, wie stark man Kohlenstoffbindungen verbiegen und dennoch stabile Verbindungen erhalten kann. "Stellen Sie sich eine Pyramide vor", erläutert der US-Forscher. Das sei die Form, die der vierbindige Kohlenstoff normalerweise einnehme: "In der Mitte sitzt ein zentrales Kohlenstoff-Atom und in jeder Ecke des Tetraeders einer seiner vier Nachbarn." Die Bindungswinkel betragen dann ideale 109 Grad. Bei dieser dreidimensionalen Anordnung des Kohlenstoffs-Quintetts haben die negativ geladenen und sich abstoßenden Elek tronenwolken der einzelnen Atome die größtmögliche Distanz zueinander.

Die molekulare Fensterscheibe aber zerbarst den Forschern. Theoretische Überlegungen zeigten, dass ein so flachgedrücktes ("planares") Kohlenstoff-Molekül mit viel kleineren Bindungswinkeln nicht stabil sein würde. Drei assoziierte Quadratringe in 2-D schienen möglich, nicht aber vier - das entscheidende neunte Kohlenstoff-Atom sperrte sich. So hatte man nur, wie manche scherzten, eine zerbrochene Fensterscheibe zustande gebracht.

Über die Fenestrane wird noch immer geforscht. Chemiker hoffen, ihr Wissen über die Stabilität von organischen Kohlenstoffverbindungen zu erweitern, wenn sie immer neue der Phantom-Moleküle im Rechner simulieren. Laien lernen auch etwas aus den Versuchen der atomaren Fensterbauer: dass es in der Chemie abseits der üblichen trockenen Nomenklatur durchaus Moleküle mit witzigen Trivialnamen gibt.

Dieser Beitrag läuft am 23. März im Deutschlandfunk im Rahmen der Reihe "M3 - Mraseks Molekül-Mosaik", immer mittwochs um 16.35 Uhr, in der Sendung "Forschung aktuell". In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Infos im Netz unter www.dradio.de/jahrderchemie

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