Architektur Der Gott des Betons

Köln ( · Kirchen wie Gebirge, Rathäuser wie Burgen – aber alles aus Beton: Das war das Markenzeichen des Architekten Gottfried Böhm, der in der Nachkriegszeit gefragt war wie kaum ein anderer.

 Pilgerzentrum und Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“ in Velbert-Neviges bei Düsseldorf: Mit diesem Bau ist Architekt Gottfried Böhm berühmt geworden.

Pilgerzentrum und Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“ in Velbert-Neviges bei Düsseldorf: Mit diesem Bau ist Architekt Gottfried Böhm berühmt geworden.

Foto: dpa/Horst Ossinger

(dpa) Anfang der 60er Jahre entschied das Erzbistum Köln, im Wallfahrtsort Neviges bei Düsseldorf einen großen neuen Pilgerdom zu bauen. Erzbischof Josef Frings – legendär, weil er den Kölnern kurz nach dem Krieg das Klauen von Nahrung und Kohle erlaubt hatte – war schon fast blind und konnte die Entwürfe deshalb nur noch eingeschränkt wahrnehmen. Ein Modell allerdings faszinierte ihn: Er tastete es ab, und es fühlte sich an wie ein zerklüftetes, schroffes Gebirge.

Dieser Entwurf musste es sein! Der Kardinal setzte das durch. Heute pilgern deutlich weniger Gläubige nach Neviges als in den 60er Jahren, aber umso mehr Architekten. Denn der Wallfahrtsdom des Gottfried Böhm, den bei seiner Einweihung viele als Zumutung empfanden, gilt heute als Offenbarung. Hochbetagt ist Böhm nun im Alter von 101 Jahren gestorben.

Das Betongebirge von Neviges kann als sein Hauptwerk gelten. Man erklimmt es über einen ansteigenden Pfad wie bei der Wanderung zum Gipfel. Dann tritt man durch eine Felsspalte und wähnt sich zunächst in einer Höhle. Durch eine Fensternische fällt wunderschönes rotes Licht herein – man fühlt sich wie in einer anderen Welt, dem Irdischen entrückt. Verzaubert.

„Das ist einfach eine geniale Architektur“, urteilte die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. „Und der Bau hat auch Würde. Das find‘ ich für Sakralarchitektur ganz wichtig.“ Schock-Werners Fazit: „Böhm gehört ganz sicher zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts weltweit.“

Böhm, der in Offenbach geboren wurde und in Köln aufwuchs, war der Sohn des Architekten Dominikus Böhm (1880-1955). Dieser machte sich einen Namen als Kirchenbauer, und der Sohn trat in seine Fußstapfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Gotteshäuser in Deutschland zerstört, gleichzeitig wuchs die Mitgliederzahl der beiden großen Kirchen noch stark, und Geld war bald reichlich vorhanden.

Gottfried Böhm schuf mehr als 50 sakrale Bauten. Nicht alle sind so wuchtig wie Neviges, er konnte auch ganz leichte, helle Räume schaffen. Ein Beispiel dafür ist die Klosterkirche Zu Unserer Lieben Frau in Oberhausen, die im Inneren an das Bundeszelt aus dem Alten Testament erinnert: ein transportables Heiligtum, das das Volk Israel nach seiner Befreiung aus Ägypten auf dem Weg durch die Wüste immer wieder neu aufbauen könnte.

Böhms bedeutendster Profanbau ist das Rathaus von Bensberg bei Köln. Auch wieder ein Berg aus Beton, den Böhm hier brutal auf die Reste einer mittelalterlichen Burganlage setzte. Vom Farbton her passt es sogar zusammen, und von den Umrissen her erinnert auch der Neubau an eine Ruine mit Turm. Dennoch hat die krasse Verbindung mittelalterlicher Burgmauern mit Betonfassaden etwas Schockierendes. Das Gebäude bekam zahlreiche Spottnamen wie „Bensberger Akropolis“, „Beamtenbunker“ und „Aapefelse“ (Affenfelsen). Als es Ende der 60er Jahre erbaut wurde, studierte Barbara Schock-Werner gerade: Böhm sei damals ein „Gott“ gewesen, erinnert sie sich, und das Rathaus für sie ganz persönlich ein „Höhepunkt der Architektur“. Heute sieht sie es aber auch kritisch: „Das Bizarre ist, dass die mittelalterlichen Teile besser erhalten sind als die Betonteile.“

Böhm hat fast nur in Deutschland gebaut, aber er wurde international wahrgenommen. So erhielt er 1986 als erster Deutscher den Pritzkerpreis, der als die weltweit wichtigste Architekturauszeichnung gilt. Erst 2015 ging der Preis wieder nach Deutschland, posthum an Frei Otto (1925-2015).

Böhms Frau Elisabeth, die 2012 starb, war auch Architektin. Zusammen mit ihr entwarf er unter anderem die WDR-Arkaden in der Kölner Innenstadt. Ebenso sind drei der vier Söhne Architekten, der vierte ist Künstler. Man kann also durchaus von einer Baumeisterdynastie sprechen.

 Gottfried Böhms Entwurf zur Umgestaltung des Trierer Doms von 1968.

Gottfried Böhms Entwurf zur Umgestaltung des Trierer Doms von 1968.

Foto: Bildnachweis jeweils „Foto: Museum am Dom Trier“ lautet. Bitte geben Sie als Bildunterschrift des Modells folgenden Text an: „Gottfried Böhm, Entwurf zur Umgestaltung des Trierer Domes, Eingereichtes Massenmodell 1968 (Privatbesitz Alois Peitz)“
 Hohe Domkirche Trier, Ostkrypta

Hohe Domkirche Trier, Ostkrypta

Foto: Bildnachweis jeweils „Foto: Museum am Dom Trier“ lautet. Bitte geben Sie als Bildunterschrift des Modells folgenden Text an: „Gottfried Böhm, Entwurf zur Umgestaltung des Trierer Domes, Eingereichtes Massenmodell 1968 (Privatbesitz Alois Peitz)“
 Diese Karikaturen in der Ostkrypta des Trierer Doms zeigen die Architekten der Restaurierung kurz vor der Wiedereröffnung am 1. Mai 1974: Gottfried Böhm (links, mit Richtlot) und Nikolaus Rosiny (mit Rolle).

Diese Karikaturen in der Ostkrypta des Trierer Doms zeigen die Architekten der Restaurierung kurz vor der Wiedereröffnung am 1. Mai 1974: Gottfried Böhm (links, mit Richtlot) und Nikolaus Rosiny (mit Rolle).

Foto: Bildnachweis jeweils „Foto: Museum am Dom Trier“ lautet. Bitte geben Sie als Bildunterschrift des Modells folgenden Text an: „Gottfried Böhm, Entwurf zur Umgestaltung des Trierer Domes, Eingereichtes Massenmodell 1968 (Privatbesitz Alois Peitz)“

Im biblischen Alter von 100 Jahren spazierte Gottfried Böhm immer noch jeden Morgen in Köln von seiner Wohnung zum Büro, trank dort einen Kaffee und ging nach einer Stunde, gestützt auf einen Rollator und begleitet von einer Betreuerin, am Rhein entlang wieder nach Hause. Er war ein leiser, bescheidener Mensch. In der heutigen Architektenglitzerwelt, in der sich jeder anpreisen und wortreich erklären muss, hätte er vermutlich gar keine Chance mehr.

(dpa)
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