Grandioser Tanz auf Messers Schneide

Trier · Das könnte ein Überraschungs-Erfolg der Theatersaison werden: Glucks "Orpheus und Eurydike" erweist sich in der Trierer Version als kleines, feines Gesamtkunstwerk an der Schnittlinie zwischen Oper und Ballett.

Trier. Vielleicht liegt es am Wetter, dass auch bei dieser Premiere diverse Plätze leer bleiben. Angesichts der strahlenden Abendsonne mag manchem eher nach einem soliden Grillfeuer zumute sein als nach der Höllenglut und dem Nebel jener Unterwelt, in die uns Christoph Willibald Gluck entführt.
Selber schuld: Auch bei der stimmungsvollsten Grillparty dürfte gegen 22 Uhr keine vergleichbare Jubelstimmung herrschen wie im Großen Saal des Theaters, wo sich das Publikum auch nach dem Einschalten des Lichts gar nicht beruhigen mag.
Doch der Reihe nach. Regisseurin Birgit Scherzer bringt uns diesen Bilderbuch-Sänger Orpheus ganz nah und führt ihn doch ganz weit weg von der Realität. Zu sehen ist jemand, der einsam im Pyjama am Frühstückstisch sitzt und erschüttert realisiert, was er eigentlich längst weiß: dass sein Partner nicht mehr da ist. Da braucht es keinen antiken Mythos, keine traditionelle Geschlechtszuordnung. Männlein? Weiblein? Egal. Ecce homo - Schaut, ein Mensch.
Die Geschichte dieses Sängers, der alles wagt, der seine ganze Kunst einsetzt, um das Unmögliche zu schaffen, die Zeit umzukehren, den Tod zu besiegen, seine Eurydike ais dem Schattenreich zurückzuholen - Scherzer erzählt sie nicht trivial, sondern mit rigorosem, bildmächtig aufgeladenem Symbolismus. Der Tänzer René Klötzer (was für eine wunderbare Entwicklung hat er in seinen Trierer Jahren gemacht!) verkörpert ein inneres Alter Ego, das dem sensiblen Sänger Wege bahnt, für einen roten Faden sorgt - und ihn letztlich doch in die Realität zurückwirft.
Das prächtig aufgelegte Tanz-ensemble liefert packende Studien guter und böser Geister, der Chor lässt sich auf eine strikte, anspruchsvolle Choreographie ein, ohne die Präzision des Singens zu vernachlässigen. Manfred Grubers starkes Bühnenbild verzichtet auf alles Gegenständliche, arbeitet mit beweglichen Lamellenwänden, die in Sekunden Atmosphären kreieren und Akteure in Windeseile erscheinen und verschwinden lassen.
Die Bilder, die Bewegungen, dazu Alexandra Benteles jenseits aller Konvention gestalteten, die Fantasie stimulierenden Kostüme nebst brillantem Licht: Alles zusammen formt ein optisches Gesamtkunstwerk. Traumhaft.
Optik traumhaft, Stanek stark


Über alledem bewegt sich Kristina Stanek. Gluck hat den Orpheus als Männerrolle geschrieben, zunächst für einen Alt-Kastraten, später für einen Tenor. Für Mezzos, die die Partie in der Aufführungspraxis später übernahmen, ist sie ein Tanz auf Messers Schneide. Die Stimme braucht Reife und Tiefe. Phänomenal, wie souverän die 29-Jährige den Part meistert. Bemerkenswert das musikalische Gestaltungsvermögen, die Geschmackssicherheit, die Ausgeglichenheit in allen Lagen. In der Tiefe muss sie manchmal kämpfen, aber in der Mitte und oben blüht die Stimme. Und am Ende, wo anderen die Kraft ausgeht, gelingt die berühmte "Que farò"-Arie, begeistert mit schlichter Schönheit, ohne jeden Anflug von Larmoyanz.
Toll auch, wie Evelyn Czeslas Eurydike da mithält, Spannungsbögen aufbaut, den Text präzise formuliert, die Ausdrucksformen der Epoche gekonnt nutzt. Keine große, aber eine prägnante Rolle (überzeugend in weiteren Partien: Joana Caspar als Amor, Susanne Wessel als Erinnerung).
Man kann diese Oper von der Musik her schroffer, kontrastreicher, riskanter anlegen. Dirigent Victor Puhl entscheidet sich für eine flüssigere, gefälligere Gangart, kombiniert das Beste aus beiden Originalfassungen. Das ist klug angesichts der Unerfahrenheit der Philharmoniker und des Ensembles im Umgang mit der Barock-Musik. So gelingen auch die heiklen Sequenzen mehr als respektabel, entsteht ein stimmiges Gesamtbild, das die Zuschauer begeistert - auch wenn ihnen Scherzer kein Happy End gönnt.
Die Sänger singen zwar das obligatorische "lieto fine", aber die Tänzer zeigen die Realität: Aus dem Reich der Toten ist noch keiner zurückgekommen. Auch wenn die Liebe noch so groß ist.
Termine: 7., 13., 17., 25. und 27. Juni. Im Innenhof des Kurfürstlichen Palais: 5., 10. und 20. Juli; Karten: 0651/718-1818.
Extra

 Michael Ophelders. TV-Foto: Friedemann Vetter

Michael Ophelders. TV-Foto: Friedemann Vetter

Der personelle Umbruch zum Ende der Intendanz Gerhard Weber geht weiter. Am Rande der Orpheus-Premiere wurde bekannt, dass Publikumsliebling Michael Ophelders das Ensemble verlässt - und zwar bereits nach Ende dieser Spielzeit. Er hatte in den letzten zehn Jahren nicht nur auf der Theaterbühne, sondern auch in zahlreichen Veranstaltungen in der Region geglänzt. Ab Herbst übernimmt Ophelders in Hamburg in dem Musical "Das Wunder von Bern" nach dem gleichnamigen Film eine Hauptrolle. Für den passionierten Fußballfan eine Traum-Aufgabe, die zumindest ein Jahr dauern wird. Ophelders schließt nicht aus, dass es später auch ein Wiedersehen auf der Trierer Bühne geben wird. "Ich werde auf keinen Fall die Kontakte abbrechen", sagt der Schauspieler. Aber da er für Trier bislang keine klaren Perspektiven bekommen habe, habe er die Chance in Hamburg nutzen wollen. Damit ist auch die bereits angekündigte Titelrolle als Don Quichotte in dem Musical "Der Mann von La Mancha" hinfällig.DiL

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