Grelle Kostümrevue mit schaurigem Humor

Trier · Angst muss keiner haben, der das Musical "Der kleine Horrorladen" im Trierer Theater besucht. Launig, spritzig und originell verspricht es kurzweilige zweieinviertel Stunden mit exzellentem Gesang, präzisem Spiel und allerlei überraschenden Momenten.

 Seymour (Jan Schuba) mit seiner Horrorpflanze. TV-Foto: Friedemann Vetter

Seymour (Jan Schuba) mit seiner Horrorpflanze. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Die Kredite sind günstig wie nie. Wer sich jetzt nichts leistet, ist selbst schuld. Haus, Auto, Urlaub. Größer, schneller, weiter. Immer mehr. Und alles auf Pump: Geld, Glück, Glanz. Dass der amerikanische Traum schnell platzen kann, zeigen die Finanzkrisen. Insofern ist "Der kleine Horrorladen", das Musical von Alan Menken (Musik) und Howard Ashman (Libretto) von 1982, hochaktuell. Und es ist zum ersten Mal seit 1996 wieder im Trie-rer Theater zu sehen. Wie im bekannten Film arbeitet Seymour in einem Blumenladen, wo eine geheimnisvolle sprechende Pflanze wächst, die gerne Menschenfleisch frisst. Seymour tauft sie auf den Namen seiner großen Liebe Audrey und setzt das Gewächs ein, um seinen Nebenbuhler aus dem Weg zu räumen.
Zurück in die 60er Jahre


Inszeniert hat Chef Gerhard Weber selbst, der die Geschichte stilecht in die 1960er Jahre versetzt - einzig die Gangsta-Rapper und das Selfie sind eine Reminiszenz an die 2000er. So erscheinen die vier Straßengören (Barbara Ullmann, Alina Wolff, Sabine Brandauer und - mit ihrer Soulröhre herausragend - Cornelia Hain) anfangs mit schwarzen Hochsteckfrisuren und blutroten Abendkleidern, Audrey trägt weit schwingende Röcke (Kostüme Ulli Kremer), und Zahnarzt Orin (Tim Olrik Stöneberg) glänzt mit gewaltiger Elvistolle und Schmalz in der Stimme.
Die Heile-Welt-Romantik wird in Audreys (Nadine Eisenhardt) gefühlvollem Solo "Im Grünen irgendwo" auf die Spitze getrieben. Originell die slapstickartigen Einlagen von Jan Schuba, der Rasen mähend und Gartenzwerge verteilend über die Bühne huscht.
Das Stück hat Tempo. Dafür sorgt auch die Band unter der Leitung von Andreas Puhl, die gerne noch dynamischer hätte aufspielen könnten. Es ist immer was los. Seymour stürzt, rennt, schleicht, Audrey hüpft, läuft, tänzelt. Nur Mr. Mushnik (brillant: Klaus Brantzen) lässt es ruhiger angehen. Yvonne Braschke hat die spritzige Choreographie herausgearbeitet - einfach, aber effektvoll. Ihr gelingt es, den Tanz aus den spielerischen Elementen zu entwickeln. Gestik und Mimik unterstreichen die humorvollen deutschen Texte von Michael Kunze.
Gesanglich brillieren Nadine Eisenhardt mit ihrer sanften bis dynamischen Stimme und Jan Schuba, der zierlich, mit riesiger Brille und Pullunder in grausigen Farben schon rein optisch prädestiniert ist für die Rolle des Seymour. Ihre Leistung belohnen die 630 Zuschauer im ausverkauften großen Haus mit Bravorufen und lautem Applaus. Ebenfalls gesanglich großartig: Bariton László Lukács, der der fleischfressenden Pflanze seine gewaltige Stimme verleiht. Wer sagt denn, dass Opernsänger nicht rocken können?
Das Bühnenbild von Karel Spanhak ist für Trierer Verhältnisse fast opulent. Der Blumenladen besteht aus großem Schaufenster, hinter der die Band spielt, und Wänden, die in Kistenstapeln ausfransen. Daneben ein Haus mit Stahltreppe, von der aus die Gören das Geschehen beobachten und wie ein Chor aus der griechischen Tragödie kommentieren. Zahnarztpraxis und Hörfunkstudio - herrlich unsympathisch: Jan Brunhoeber als Moderator - sind dezent gehalten.
Erst niedlich, dann riesengroß


Giftig grün, niedlich, mit samtenen Blättern scheint Audrey Zwo ein zartes Pflänzchen. Doch sie wird immer größer - vier Modelle, von handlicher Topfpflanzengröße bis hin zum Giganten - leistet sich die Produktion. Für die präzisen Bewegungen, die beim Gesang etwas agiler wirken könnten, zeichnet Thomas Grünholz verantwortlich. Das Stück ist auch eine Glanzleistung von Maske und Kostümbildnerin. Jeder Auftritt der Gören verlangt nach einem neuen Fummel, die Kostüme herrlich überzogen - zu grell, zu eng, zu kurz -, und einer neuen Frisur. Stöneberg, Brunhoeber und Lukács legen mit bis zu sieben verschiedenen Rollen einen Umkleidemarathon hin. Anstrengungen, die das Publikum mit Gelächter und viel Beifall honoriert. Ein unterhaltsamer Abend, eine musikalische Horrorparodie, die unterschwellig aber auch nachdenklich stimmt.

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