Theater „Groß anfangen und großartig enden“

Trier · Mit einer eindrucksvollen und bewegenden Gala verabschiedete sich Tanzspartenchefin Susanne Linke.

 Eine Szene aus Linkes Nemmokna – ihrem ersten Stück in Trier.

Eine Szene aus Linkes Nemmokna – ihrem ersten Stück in Trier.

Foto: ©Bettina Stöß

Als sich der Vorhang senkt, bricht Jubel los. Geschlossen erhebt sich der bis auf wenige Plätze ausverkaufte Saal und applaudiert minutenlang. Unten auf der Bühne hat sich inzwischen Susanne Linke mit ihren Tänzern, Choreographen  und dem übrigen Team zum Schlussapplaus aufgestellt. Er wird zum gewaltigen Schlussakkord, in dem sich  Zuschauer und Künstler zusammenfinden. In diesem letzten stürmischen Beifall wird einmal mehr offenbar: Susanne Linke und ihr Ensemble sind nach drei Jahren in Trier  angekommen, auch wenn es an diesem Abend Abschied zu nehmen gilt. „Sie haben es geschafft, dass in Trier das Tanztheater als Sparte  nicht zur Diskussion steht“, lobt  später bei der Verabschiedung Oberbürgermeister Wolfram Leibe.

„Start big, end great“ – was Luiza Braz Batista dem Publikum zuruft, haben die scheidenden Tänzer und ihre Choreographen über drei Jahre als Tanzsprache realisiert. Groß, mit Energie und Elan haben sie in Trier begonnen, und großartig endet ihre Spielzeit. Die Abschiedsgala beginnt mit einer letzten eindrucksvollen Aufführung von Hannes Langolfs Tanztheaterstück „Unruhe“ nach Fernando Pessoas berühmten „Buch der Unruhe“. Ein Spiel im Spiel, wie gemacht für einen Abend, an dem es loszulassen gilt. Da  bekommt das Stück von Gewinnen und Verlusten und vom Traum, an dem man festhalten muss, eine ganz neue tiefe Bedeutung. Genauso wie jenes komödiantische Solo des Clowns mit den Luftballons, der sich aufmacht, dem Leben den Hals hinzuhalten.

Was sich in Langolfs Inszenierung bereits eindrücklich darstellt, macht die nach der Pause beginnende Gala endgültig zum Ereignis. Mit der Company Susanne Linke verabschiedet sich ein Ensemble von ungeheurer Spielfreude und präziser Ausdruckskraft, das geistige und seelische Energie bis in die Fingerspitzen auslebt. Dynamisch und einfühlsam schafft es in der Bewegung ganze Bildwelten. Fantasievoll und vielfältig kommt diese Tanzsprache daher, hochdramatisch oder mit zarter Poesie, zuweilen witzig, aber stets bildmächtig. Sie ist der Pracht des Lebens so nah, wie seinen Abgründen.

 Bildmächtige Choreographien prägen Linkes Werk – hier in Hieronymus und der Meister sind auch da.

Bildmächtige Choreographien prägen Linkes Werk – hier in Hieronymus und der Meister sind auch da.

Foto: TV/OLIVER LOOK

Gleich das Eingangsbild des zweiten Teils trifft einen mit derselben Wucht, wie seinerzeit bei der Premiere. Wenn zu Beginn der Gala der Tod im gelben opulenten Kleid (der mittelalterlichen Farbe des Hurenkleides) auf der Bühne sitzt, und Ungeheuer gebiert, möchte man die Zeit zurückdrehen. Die Szene stammt aus Linkes großartiger Choreographie „Hieronymus und der Meister sind auch da“. Als eine Art Collage hat die Choreographin Teile der wichtigsten Produktionen ihrer Amtszeit zu einer neuen, ebenso schlüssigen wie dynamischen Choreographie zusammengefügt. Darunter „Nemmokna“, mit der sich die Company in Trier seinerzeit vorstellte. Eine ganz neue Perspektive eröffnet sich für Urs Dietrichs in der Europäischen Kunstakademie uraufgeführtes, wunderbar poetisches „Clip“. Spannung bis zum Zerreißen schafft der Pas de Trois im nachtschwarzen Raum der großen Bühne. Jede Faser ihrer Körper machen die Tänzer zur Herzenssache in David Hernandez „And my Beloved“. Der Mensch steht im Mittelpunkt des Werks von Susanne Linke und Urs Dietrich, der in Trier Hauschoreograph wie Artist in Residence war. Stets behalten die beiden international hoch angesehenen Künstler im kollektiven Schicksal den einzelnen Menschen im Auge mit seiner Angst, seiner Einsamkeit, seiner Suche nach Nähe und Wärme, seiner Bedrohung durch Gewalt und Kälte. So wie in Dietrichs hier noch einmal erinnerten „Ein Neues Stück“ oder Susanne Linkes „Effekte“, dem getanzten Psychodrama einer Paarbeziehung. Bleibt noch unter den erinnerten Tanzstücken zu erwähnen, Julio Iglesias Ungos und Alexis Fernandez Ferreras „Imagine A-…Right in the Middle“ und das schöne Solo von Victor Zapata Cardenas. Zum Ende noch einmal „Nemmokna ,das Willkommensstück von einst, in dessen Titel die Umkehrung des Wortes „ankommen“ steckt.  Wenn zum Ende Ensemble und Team auf der Drehbühne im Sternenregen kreisen, wird wahr, was der  Name ankündigt. Linkes Nachfolger Roberto Scafati tritt in große Fußstapfen.

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