Großangriff auf die Sinne

LUXEMBURG. Schleppender, schwermütiger Trip-Hop, mystisches Licht und eine tennisplatzgroße Computer-Leinwand machten das Konzert von Massive Attack zu einem düsteren Gesamtkunstwerk.

 Ruhe in Person: Robert "3D" Del Naja von Massive Attack.Foto: Christian Jöricke

Ruhe in Person: Robert "3D" Del Naja von Massive Attack.Foto: Christian Jöricke

Es wird ein entspannter Abend werden. Bereits im Shuttle-Bus von Luxemburg nach Kockelscheuer herrscht beste Stimmung, als der Fahrer die Ladung Trip-Hop-Fans mit Phil Collins beschallt. An einem See vorbei geht es dann zur Eissporthalle, auf deren umliegenden Wiesen sich Hunderte Besucher tummeln. Hinter der Halle haben es sich rotweintrinkend auch Massive Attack gemütlich gemacht. Jeder Musiker ist die personifizierte Ruhe.Wohlige Kälte nach tropischer Hitze

Selbst wenige Minuten vor dem Auftritt spaziert Grant "Daddy Gee" Marshal, neben Robert "3D" Del Naja eines der Gründungsmitglieder, seelenruhig durch den Backstage-Bereich. Die einzigen, deren Ruhepuls an diesem Abend noch einmal kurz über 60 Schläge steigt, sind jene Besucher, die es versäumt haben, sich zu Hause satt zu essen, und nun am Imbiss-Stand ein Cocktail-Würstchen im Schwammbrötchen gegen drei Euro tauschen müssen.In der Halle herrscht tropische Hitze. Bis Massive Attack auftreten. Die gefühlte Temperatur sinkt beim schleppenden "Future Proof" auf minus drei Grad. Naja, fast. Von den Stücken, die überwiegend vom aktuellen Album "100th Window" stammen, geht eine wohlige Kälte aus.Die Sänger - insgesamt fünf an der Zahl - wechseln nach fast jeder Nummer. Den Part von Sinead O'Connor, die zwei Titel auf der neuen Platte beisteuerte, übernimmt Dot Allison. Die schottische Sängerin, der bereits die Aufgabe des Vorprogramms zufiel, ist, vor allem was ihre Ausstrahlung betrifft, ein adäquater Ersatz. Daddy Gee und der schon lange mit der Band verbundene Horace Andy lösen sich ab und zu von ihren Mikros und lassen sich wie das Publikum tranceartig von den schwermütigen, basslastigen Beats wiegen. 3D bewegt sich nicht so viel. In der gesamten Halle herrscht vollkommene Entspannung.Die minimalistischen Aktivitäten auf der Bühne stehen in einem starken Gegensatz zur aufwändigen Ausstattung. Ein riesiger LED-Bildschirm, vom guten, alten DOS angetrieben, lässt munter Zahlen- und Buchstabenketten tanzen, rattert Listen der weltweiten Militärausgaben herunter, zeigt in Echtzeit, wie viel Tonnen Kohlendioxid gerade in die Atmosphäre geblasen werden, und "Wat fir Stacheldroot ausgi get".Viele der Angaben, vor allem die von den Zuschauern lautstark begrüßten Friedensbotschaften, sind ins Luxemburgische übersetzt. Der optische Overkill, die kriechenden Grooves und die mit blauem oder roten Licht nur schwach illuminierte Bühne machen das zweistündige Konzert zu einem düsteren, kühlen Gesamtkunstwerk. Als die 4500 Besucher durch den einzigen Ausgang langsam ins Freie strömen, kommt keine Gereiztheit oder gar Aggression auf. Es bringt auch niemanden aus der Ruhe, als im Bus zu den Parkplätzen Gedränge entsteht. Jeder ist völlig ausgeglichen. Jeder ist völlig entspannt.

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