Große Gefühle, kleine Beziehungsgeschichten

TRIER. 4500 Besucher in der ausverkauften Arena Trier feierten am Freitagabend ein Fest. Udo Jürgens und das Orchester Pepe Lienhardt sorgten zweieinhalb Stunden lang für perfekte Unterhaltung.

 Der Star weiß um seine Wirkung - und gibt sich ironisch: Udo Jürgens in der Arena Trier.Foto: Friedemann Vetter

Der Star weiß um seine Wirkung - und gibt sich ironisch: Udo Jürgens in der Arena Trier.Foto: Friedemann Vetter

1934: Das Geburtsjahr ist das erste, was aus den Presse-Unterlagen zur Udo-Jürgens-Tournee hervorsticht. Kurze Überschlagsrechnung: Der Star steht im 70. Lebensjahr. Stop. Das kann doch nicht der Mann sein, der da vorne im Scheinwerferlicht agiert. Der unermüdlich zwischen dem gläsernen Klavier und dem Mikrofon pendelt und swingt und immer mal wieder elegante Tanzschritte einstreut. Der die Damenschar, die sich vor der Bühne eingefunden hat, derart charmiert, dass man nur darauf wartet, wann die erste ein Transparent hochhält, auf dem steht: "Udo, ich will ein Kind von Dir". Doch: Es ist der Gleiche. Udo Jürgens ist mit einer Differenz zwischen dem biologischen Alter und dem seiner Ausstrahlung gesegnet wie sonst hierzulande allenfalls noch Franz Beckenbauer und Thomas Gottschalk. Sein Gesicht verträgt sogar die eindrucksvollen, aber auch schonungslosen Großaufnahmen, die im ersten Drittel des Konzerts auf eine Leinwand projiziert werden. Später, wenn sich die Anstrengung sichtbarer abzeichnet, arbeitet die exzellente Bühnenregie lieber mit sanfterem Licht und größerer Kamera-Distanz. Kein Wunder, dass der weibliche Anteil im Arena-Publikum den der Bevölkerungsstatistik bei weitem überschreitet und Udo Jürgens die "zwangsweise mitgekommenen" männlichen Partner gesondert begrüßt. Der Star weiß um seine Wirkung, aber der einstige Vorzeige-Macho kontrastiert seine "Womanizer"-Rolle inzwischen mit feiner, unaufdringlicher Selbstironie. Das macht ihn sympathisch, ebenso wie das konsequente Festhalten an dem Bedürfnis, sein Publikum von bestimmten Dingen zu überzeugen. In den politisierten Siebzigern galt Udo Jürgens den Gesellschaftsveränderern als unpolitisch. Heute, da "Gutmensch" zum Schimpfwort geworden ist, markiert er mit seinen naiv, aber ehrlich klingenden Appellen für Mitmenschlichkeit, friedliches Zusammenleben und den Mut zum Träumen schon fast den progressiven Rand der Gesellschaft. Vielleicht ist es ihm deshalb gelungen, einen Künstler zu kreieren, den es sonst nur in Frankreich gibt: den Chansonnier, der sich von den Schlagerfuzzis durch seine Qualität und von den intellektuellen Liedermachern durch seine Massenwirksamkeit unterscheidet. In Deutschland steht er damit ziemlich alleine, da wäre allenfalls noch Reinhard Mey zu nennen. Gekonnt hält Jürgens die Balance zwischen großen Gefühlen, kleinen Beziehungsgeschichten und ironischen Beobachtungen. Dass das Show-Phänomen Udo Jürgens nach mehr als einem halben Jahrhundert immer noch funktioniert, hat aber auch mit der Qualität und der Zeitlosigkeit seiner Musik zu tun. Wer sonst könnte es sich erlauben, bis zur Pause nicht einen einzigen seiner Mega-Hits zu spielen und trotzdem das Publikum pausenlos unter Spannung zu halten? Da steckt alles drin: Big-Band-Sound, Jazz, Latin, Chanson, Ballade, sogar World Music. Perfekt die Wandlungsfähigkeit der 18-köpfigen Truppe von Pepe Lienhardt. Schön, bei jedem Titel herauszuhören, dass da tatsächlich die Instrumente auf der Bühne gespielt werden, die man hört - und nicht die Chipkarte vom Samp-ling-Computer. Und weil‘s einfach Spaß macht, schmuggelt der junge Arrangeur Thorsten Maaß zwischendurch mal schnell AC/DCs legendäres "TNT"-Gitarrenriff in das Intro von "Es lebe das Laster". Und wenn man meint, man hätte alles schon mal gehört, dann zupft Udo Jürgens mit "Alles, was ich bin" einen 20 Jahre alten, nie auf der Bühne gespielten Titel aus dem unerschöpflichen Archiv und macht ihn mit großen, fast klassischen Orchesterklängen zu einem zauberhaften, poetischen Höhepunkt des Abends. Seine Hits bündelt er in Medleys, so schafft er Platz für Neues und betrügt sein Publikum trotzdem nicht um die Gassenhauer. Irgendwann, es geht schon aufs Ende zu, reißt es dann auch das Trierer Publikum, das - wie man weiß - nicht zu Exzessen neigt, buchstäblich von den Arena-Stühlen. Bei "Griechischer Wein" schließlich ist der Meister schon im Bademantel, und die Zuschauer sind endgültig aus dem Häuschen. Trier werde angesichts der prächtigen neuen Halle künftig "fest im Tourneeplan verankert", hat er schon vorher unter dem Jubel der Massen verkündet. Oben in den ausverkauften VIP-Logen glaubte man in der Dunkelheit die leuchtenden Augen von OB Schröer und Hallenmanager Esser wahrzunehmen.

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