Große Namen, große Erwartungen

LUXEMBURG. Die Comédie Française, Hamburgs Thalia Theater, die English National Opera, die Münchner Kammerspiele - für Theater- und Opernfans der Region sind sie bald nur noch eine kurze Autofahrt entfernt. Denn die Ensembles dieser und anderer renommierter Häuser gastieren ab Herbst in Luxemburgs neuem "Grand Théâtre".

 Neuer Hausherr im neu gestalteten Reich: Frank Feitler, Direktor des "Grand Théâtre".Foto: Friedemann Vetter

Neuer Hausherr im neu gestalteten Reich: Frank Feitler, Direktor des "Grand Théâtre".Foto: Friedemann Vetter

Vier Jahre lang war der klobige Bau zur Rechten auf der Einfallstraße nach Luxemburg-Stadt mit Planen verhängt. Ungefähr die Hälfte der Zeit hatte man veranschlagt, um das "Théâtre Municipal", durch dessen Dach der Regen auf die Bühne tropfte, zu modernisieren. Dann wurde, wie bei so vielen Gebäuden der sechziger Jahre, Asbest gefunden, und noch einmal zwei Jahre lang musste entfernt und entkernt werden.Der langen Mühe Lohn: Luxemburg hat ab September eines der modernsten Theater Europas. Hubpodien, Seiten- und Hinterbühnen sowie eine Drehbühne, dazu eine mit allen Raffinessen ausgestattete und computergesteuerte Licht- und Tontechnik, Versenkungsklappen, Doppelstockpodien sowie rund 60 Maschinen- und Handzüge zur reibungslosen Szenenverwandlung sorgen dafür, dass auch die ausgefallensten Wünsche der Regisseure erfüllt werden können."Nora" aus Hamburg, "Dom Juan" aus Paris

Der Orchestergraben bietet 80 Musikern Platz und kann bei Bedarf hochgefahren werden, so dass er die Bühne ins Auditorium hinein verlängert, das mit dunkelblauen Polstersitzen neu bestuhlt ist. Proben- und Balletträume sind nach modernsten Richtlinien ausgestattet und stehen auch anderen Luxemburger Theatern zur Verfügung. Und mit der Runderneuerung wurde auch gleich der alte Name entsorgt: Das "Théâtre Municipal" erlebt als "Grand Théâtre de la Ville" seine Wiedergeburt.Was, auf Luxemburg bezogen, nicht einmal eine Übertreibung ist, denn mit 950 Plätzen im Großen Haus und bis zu 400 im "Studio", einer Experimentierbühne mit variablen Sitzgruppierungen und Spielflächen, ist es in der Tat der größte Musentempel der Nation. Und wenn das Programm hält, was Direktor Frank Feitler verspricht, hat es durchaus Chancen, auch zur größten Attraktion weit über die Landesgrenzen zu werden.Beim Blättern in seinem Spielplan für die Saison 2003/04 bekommt jeder Opern- und Schauspielfan glänzende Augen. Ein paar Kostproben: Das "Théâtre Royal de la Monnaie" aus Brüssel eröffnet die Opernsaison im Oktober 2003 mit einem Gastspiel von Herbert Wernickes hoch gelobter Inszenierung der Barockoper "La Calisto" von Francesco Cavalli. Im Januar 2004 treibt José van Dam als schlitzohriger "Gianni Schicchi" in einer Produktion der Vlaamse Opera (Antwerpen/Gent) sein Unwesen; einen Monat später stirbt in Schönheit Violetta Valéry, in Szene gesetzt von Peter Mussbach und Erich Wonder (Ausstattung). Verdis "La Traviata" ist eine Ko-Produktion des Festivals von Aix-en-Provence und Berlins Staatsoper unter den Linden.Das Hamburger Thalia Theater zeigt eine Woche lang alternierend Ibsens "Nora" (Regie: Stephan Kimmig) und die Operettenpersiflage "Im Weißen Rößl" in der auf ein Hotelzimmer und ein Klavier reduzierten Inszenierung von Erik Gedeon; die Comédie Française schickt Molières "Dom Juan" (Regie: Jacques Lassalle), und die Münchner Kammerspiele reisen mit Euripides‘ "Alkestis" von Jossi Wieler an. Dabei liegt das Haus mit Preisen zwischen 10 und 80 Euro für Opernvorstellungen deutlich günstiger als Theater in London, Brüssel oder Berlin, die bis zu 150 Euro fürs Premieren-Ticket verlangen.Gut möglich also, dass das Haus am "1, Rond Point Schuman" (so die Postadresse) schon bald zu einem Mekka der Kulturfreaks nicht nur aus der näheren Region wird. Mussten sie in der Vergangenheit mehr oder weniger weite Reisen zu den Topadressen des Opern- und Schauspielbetriebs in Kauf nehmen, werden ihnen die Highlights jetzt praktisch vor die Haustür geliefert.Trotz dieser klingenden Namen: Eröffnen will der 52-jährige Frank Feitler, der zuvor Dramaturg und Autor beim Luxemburger Nationaltheater war und das "Théâtre Municipal" vom 2000 verstorbenen Jeannot Comes übernommen hat, sein Haus ganz unpompös und unprätentiös, ohne langatmige Reden und orchestrales Feiergetöse, mit einem Ballettabend, der von 16- bis 20-jährigen Tänzern und Tänzerinnen aus ganz Europa gestaltet wird. Und die Wiederholungsvorstellungen nach der Premiere sind, sozusagen als Geschenk an die Bevölkerung, kostenlos.Ganz so günstig ist die Renovierung des Theaters nicht gewesen. 65 Millionen Euro hat die Umgestaltung gekostet, die bei Spielzeiteröffnung wohl noch nicht komplett abgeschlossen sein wird, zumindest, was die Außenanlagen angeht. Eine Tiefgarage für 450 Fahrzeuge soll langes Parkplatzsuchen in der verkehrsreichen Umgebung des Hauses unnötig machen; und schon bald lädt eine Brasserie an der Längsseite des Theaters zum Genießen nach dem Kunstgenuss ein. Feitler ist froh, dass die Finanzierung dieser Bauabschnitte rechtzeitig unter Dach und Fach gebracht wurden. "Bei der aktuellen Finanzsituation wäre das Parkhaus heute wohl nicht mehr durchgekommen", mutmaßt der Herr des Hauses, das er mit ganzen vier Mitarbeitern verwaltet, während sich um die Technik 35 fest angestellte Kollegen kümmern. Derzeit hat Feitler sechs Millionen Euro zur Verfügung, um weltweit Produktionen einzukaufen beziehungsweise mitzufinanzieren. Denn auch das Grand Théâtre kooperiert mit vielen Häusern; nur so ist langfristig eine interessante und spannende Spielplangestaltung möglich.Erinnerungsstücke aus der Gründerzeit

Neues Leben also in dem Haus, das auch von außen in frischem Glanz erstrahlt und nicht länger wie ein "dumpfes Mausoleum" (Feitler) wirkt. So ganz auf die Insignien aus der Entstehungszeit des Gebäudes wollten die Verantwortlichen jedoch nicht verzichten. Der Besucher sieht es, wenn er im Eingangsbereich den Kopf hebt. Die monströsen Lampen, die an wulstigen Kabeln von der Decke baumeln, sind eine recht eigenwillige Kombination aus Kristalllüster und vergoldeten Metallröhren, die an LKW-Auspufftöpfe erinnern und den zopfigen Charme der 50er Jahre verströmen. "Die Meinungen über die Beleuchtung sind geteilt", erklärt Feitler diplomatisch. Und fügt nach kurzer Pause hinzu: "Aber man muss ja nicht nach oben schauen, wenn man durchs Foyer läuft."Wer jetzt schon einen Blick in das neue "Grand Théâtre" werfen möchte, kann sich unter der Rufnummer 00352/47963912 nach Besichtigungsterminen erkundigen.

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