Großes Drama ganz ohne Worte; Trierer Uraufführung des Tanzstücks "Der Fremde" feiert umjubelte Premiere

Trier · "Der Fremde" ist in Trier angekommen. Mit stürmischem Applaus feierte das Publikum im Theater die Uraufführung der "Symphonie Chorégraphique" nach Albert Camus’ Roman. Es war ein gelungener Einstand für das neue Trierer Tanzensemble.

 In „Der Fremde“ (links, Ziv Frenkel) zeigt Regisseurin Rosamund Gilmore am Theater Trier ihre tänzerische „Philosophie des Absurden“. TV-Foto: F. Vetter

In „Der Fremde“ (links, Ziv Frenkel) zeigt Regisseurin Rosamund Gilmore am Theater Trier ihre tänzerische „Philosophie des Absurden“. TV-Foto: F. Vetter

Foto: Friedemann vetter (Ve._), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Trier. Sein Denken führt den Menschen aus der Unmündigkeit, sein Zorn aus der Gleichgültigkeit. Auch der junge Algerier Meursault wird erst in der Auflehnung gegen sein bis dahin gleichmütig hingenommenes Leben zum sinnsuchenden Betroffenen.
Als Auftragswerk des Theaters Trier hat die englische Komponistin Susan Oswell Albert Camus' existentialistischen Roman "Der Fremde" als "Symphonie Chorégraphique" gefasst. Die Komposition, die dem Klangverständnis des Spätimpressionismus und des frühen 20. Jahrhunderts verpflichtet ist, hat Rosamund Gilmore als Tanzstück inszeniert.
Mit der Uraufführung gab das neue Tanzensemble des Theaters seinen Einstand. Die Trierer Aufführung bestätigt einmal mehr: Der 1942 erschienene Roman des französischen Literaturnobelpreisträgers ist unverändert aktuell. Und das gelingt Rosamund Gilmore und ihren eindrucksvollen Tänzern ganz ohne Worte. Konsequent entwickelt die Regisseurin ihre Bilder aus den musikalischen Abläufen und der Struktur der Musik, ohne jemals die Romanvorlage aus den Augen zu verlieren.
Die Frankfurter Choreographin und Regisseurin ist eine wunderbare Erzählerin, die im Bühnenraum die ganze Tiefe und Weite der literarischen Vorlage ausschreitet und in der Bewegung ihrer Tänzer die Wahrheit ihrer "Philosophie des Absurden" erfahrbar macht. Gilmores intelligente Bildsprache ist ganz auf die Bewegung als Ausdruck gerichtet. Auf die notwendigen Zeichen beschränkt, zielt sie auf Herz wie Verstand. Das wird gleich eingangs klar. Auf der minimalistischen Bühne (Ausstattung: Verena Hemmerlein) steht nichts als ein paar Stühle. Sie sind gleichermaßen Requisit eines alltäglichen Lebens, Ghetto der Fremdheit wie Gefängniszelle, durch deren Gitter sich die Erinnerung und die höhnenden Stimmen einer verständnislosen Umwelt drängen. Unbeteiligt und bewegungslos sitzt dazwischen "der Fremde" (Ziv Frenkel). Sein weißer Anzug verstärkt den Eindruck des Unberührten und Unberührbaren. Vorne am Bühnenrand rinnt die Zeit mit stoischer Gleichmütigkeit als Sand aus der Sanduhr, die zwei Eimer bilden.
Ihre präzise Klarheit, die feinen Nuancen, die exakten Bewegungen wie der leichte Erzählton machen Rosamund Gilmores Bilder zwingend und ihren Bühnenraum zu einem Ort der Dringlichkeit.
Gilmore und ihre Tänzer schaffen mit feinsten Bewegungen großes Drama. So wie in der Gestalt des späten Bräutigams Pérez (Darwin José Diaz Carrero), in dessen gebeugtem Rücken über winzigen Trippelschritten sich ein ganzes Leben auftut. Augenzwinkernd macht die Regisseurin in der Normalität die Groteske sichtbar. Herrlich: der alte Salamano und sein Hund (Miroslaw Zydowicz und Robert Przybyl). Zu den stärksten Szenen gehört Meursaults befreiender finaler Zornausausbruch.
Was sein Innerstes erschüttert, personifiziert sich in der Außenschau tänzerischer Energie. Die Provinz der Seele bleibt die Landschaft. Wunderbar blau schlägt die Nacht in seidenen Wogen über der Trierer Bühne zusammen.
Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter der Leitung von Wouter Padberg bewährt sich als überzeugender Interpret von Oswells Musik. Padberg dirigiert klar strukturiert mit Gefühl für die Instrumentenstimmen und die Farbigkeit und Dynamik des Werks. Klar konturiert erklingen die Instrumentengruppen. Weit atmen die lyrischen Partien. Dazwischen ertönt, als eine Orchesterstimme mehr mit ihren Leitmotiven, die Stimme des Erzählers. Stürmischer minutenlanger Applaus im gut besetzten Saal. Weitere Aufführungen: 20., 21. und 31. Oktober, 1., 14. und 15. November. Karten gibt es unter Telefon 0651/7181818 und theaterkasse@teatrier.de

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