Gruselkino im Kopf

Hörspiele boomen. Sie haben sich einen festen Platz in der Medienlandschaft erarbeitet. Jetzt präsentieren Künstler ihre Stücke auch live und unter freiem Himmel. Vor 300 Zuschauern spielte die Lauscherlounge Bram Stoker's Dracula in den Kaiserthermen.

 Voller Konzentration und mit den einfachsten Mitteln entstehen die Geräusche. TV-Foto: Hannah Schmitt

Voller Konzentration und mit den einfachsten Mitteln entstehen die Geräusche. TV-Foto: Hannah Schmitt

Trier. "Blut von meinem Blute. Fleisch von meinem Fleische", schallt es durch die Kaiserthermen. Es regnet in Strömen. Dennoch starren die rund 300 Zuschauer wie gebannt auf die Bühne. Dort stehen hinter Stehpulten versteckt sechs Männer und Frauen. Ganz in Schwarz gekleidet verschwinden sie nahezu im Dunkel des Podiums. Nur ihre Gesichter sind hell beleuchtet. Den Kopf meist auf ihre Manuskripte gerichtet, lesen sie Bram Stoker's Dracula. Nur selten werden die Worte der Sprecher von einer besonderen Gestik begleitet. Das Erlebnis auf der Bühne ist geprägt von einem fast stoischen Stillstand. Denn das Publikum sieht keinem Schauspiel zu, sondern ist Zeuge eines Live-Hörspiels.

Für die schaurige Atmosphäre sorgen neben den sechs Sprechern der Lauscherlounge auch ein Musiker sowie ein Geräuschemacher. Gefahr andeutende Musik tönt aus den Lautsprechern. Das Gewitter und der Dauerregen tun ihr Übriges. Die Klänge von der Bühne verschmelzen mit den Geräuschen rund um die Kaiserthermen.

Seit ihren Anfängen im Radio üben Hörspiele eine große Wirkung auf das Publikum aus. H.G. Wells sorgte mit seinem Stück "Der Krieg der Welten" 1938 in New York sogar für eine Massenpanik. Viele Menschen hielten den gespielten Angriff der Marsmenschen für real und flüchteten.

Hörspiele faszinieren die Menschen



In Deutschland zeichnet sich besonders in den vergangenen Jahre ein Trend zum Hörbuch ab. Die drei ???, Bibi Blocksbergs und Benjamin Blümchen sind nicht nur bei Kindern populär. Die Kult-Synchronsprecher der "Drei ???" lockten erst vergangenes Wochenende mehr als 15 000 Zuschauer zu einem Live-Hörspiel in die Berliner Waldbühne. Daneben gibt es kaum ein Buch, das nicht auch als hörbare Version im Handel angeboten wird. Jedes Jahr erscheinen etwa 2000 neue Titel. Die Branche boomt - auch dank Internet und MP3-Player.

Besser als Fernsehen



Doch was macht die Begeisterung an den Hörspielen aus? Beim Hören entstehen bewegte Bilder in den Köpfen der Zuschauer. Dank Musikern und Geräuschemachern ist das Publikum mitten im Geschehen, wenn Graf Dracula ächzend die quietschende Tür zu seinem Schloss öffnet. Oder eines seiner Opfer in den Hals beißt. Obwohl es zunächst befremdlich anmutet, dass der Geräuschemacher dafür eine Gurke zerquetscht. Noch skurriler wird es, als er mit einer Hand in einer Melone wühlt, während Dracula sich am Ende des Stücks in Staub auflöst. Der Zuschauer erlebt so live, wie ein Buch mit den einfachsten Mitteln zum Leben erweckt wird.

Einen Großteil des Trierer Publikums machen Menschen aus, die schon mit Hörbüchern aufgewachsen sind. "Ich habe als Kind schon sehr viel gehört", erzählt Jan Ludwig (24) aus Erfurt. Die Frage nach dem Warum beantwortet er kurz und knapp: "Hörspiele sind detaillierter als Fernsehen, und sie haben mehr Anspruch." Vielleicht liegt der Siegeszug der Hörbücher aber auch an unserer schnelllebigen Zeit. Hörspiele entwickeln sich zu einem Buch-Ersatz. Denn lesen braucht Ruhe und Konzentration. Hörbücher laufen dagegen nebenbei - beim Autofahren, Kochen oder Putzen. Der Faszination tut das jedoch keinen Abbruch. Liebhaber gönnen sich deshalb auch mal zwei Stunden reines Hörspiel-Vergnügen in den Kaiserthermen. Trotz des Regens.

Hintergrund

Hörspiele können als die erste originäre Kunstform des Radios angesehen werden. Dabei muss zwischen Hörspielen und Hörbüchern unterschieden werden. Bei einem Hörspiel werden Bücher oder Geschichten mit verteilten Rollen "gespielt". Es basiert auf einem Manuskript, das neben dem reinen Text noch weitere Elemente enthält, die die Erzählung dramatisieren. Hörbücher werden dagegen meist von einer Person vorgelesen. Deutschland gilt als das Land, in dem die meisten Hörspiele produziert und gehört werden. Besonders beliebt sind neben den Kinderhörspielen Krimis und Thriller.

Extra

Die Lauscherlounge ist spezialisiert auf Live-Hörspiel-Events. 35 Künstler gehören dem Team an. Viele von ihnen sind ausgebildete Schauspieler oder bekannte Synchronsprecher. Bei Bram Stoker's Dracula stehen unter anderem der Gründer Oliver Rohrbeck - bekannt als Stimme von Justus Jonas von den "Drei ???" und Hollywood-Star Ben Stiller - sowie Detlef Bierstedt, die deutsche Stimme von George Clooney, auf der Bühne. (hsc)

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